Lübeck/Ratzeburg (pm). Mehr als ein offenes Ohr haben Karin Küssner und Hildegard Fiedler. Seit 40 Jahren engagieren sich die beiden Frauen ehrenamtlich für die TelefonSeelsorge Lübeck. Für diesen Einsatz bekommen sie das Ansgarkreuz der Nordkirche. Pröpstin Fauke Eiben übergibt die höchste Auszeichnung der Nordkirche für ehrenamtliches Engagement in einem Gottesdienst am Sonntag, 11. November 2018. Beginn ist um 17 Uhr in der St. Georg-Kirche in Lübeck-Genin.
1978 haben Karin Küssner und Hildegard Fiedler die Ausbildung in der TelefonSeelsorge begonnen.
„Das war damals hochgeheim“, erinnert sich Karin Küssner. Nur das unmittelbare familiäre Umfeld wusste davon, dass sich die Lehrerin als Telefonseelsorgerin ausbilden ließ. Die Anonymität ist bis heute ein wichtiger Aspekt in der Arbeit, eine Geheimhaltungsauflage gibt es aber nicht mehr. „Ich habe eine hochinteressante Ausbildung durchlaufen, die ich als sehr bereichernd für mich empfinde“, sagt Karin Küssner. Die lange und intensive Bindung trägt sie – bis heute. In den regelmäßigen Supervisionsgruppen fühlt sie sich nicht nur als Ehrenamtliche sondern als ganzer Mensch gut begleitet.
Ob es eher 8.000 oder 10.000 Kontakte in den letzten 40 Jahren waren, kann keiner mehr genau ausrechnen. Am Telefon hat Karin Küssner mit unzähligen Menschen gesprochen und begleitet sie heute auch per E-Mail-Chat. Sie hört zu und schaut genau hin. „Früher haben viele Menschen mit Alkohol- oder Beziehungsproblemen angerufen“, erinnert sich Karin Küssner. Heute seien es oft ältere Menschen, die furchtbar unter ihrer Einsamkeit leiden. „Es gelingen einem ja nicht alle Gespräche gleich gut“, sagt sie, „aber manchmal weiß ich nach einem Telefonat: Du hast jetzt zur rechten Zeit hier gesessen.“ Besonders intensive Kontakte sind ihr mit älteren, einsamen Menschen in Erinnerung geblieben, denen sie am Ende des Gesprächs ein kleines Lächeln im Gesicht anhören konnte.
In der E-Mail-Seelsorge ist das ein wenig schwieriger, sich auf das Gegenüber einzustimmen. Die zeitversetzte Kommunikation, das geschriebene Wort und das Fehlen der Stimme machen diese Art der Seelsorge noch einmal ganz anders. „Das ist spannend“, findet Karin Küssner und bleibt der TelefonSeelsorge Lübeck als Ehrenamtliche weiter erhalten.
Genau wie Hildegard Fiedler, die nach 40 Jahren ehrenamtlicher Mitarbeit bei der TelefonSeelsorge Lübeck auch noch nicht aufhören möchte. Sie schätzt, dass die ehrenamtliche Mitarbeit zu gleichen Teilen aus Diensten am Telefon und der Supervision in Gruppen besteht. Hildegard Fiedler hat vor 40 Jahren überlegt, dass sie neben ihrer Erwerbsarbeit auch etwas für andere Menschen tun möchte. Ehrenamtlicher Einsatz gehörte in ihrer Familie dazu. Über ein befreundetes Ehepaar erfuhr sie vom Dienst am Telefon und Hildegard Fiedler stellte ich vor. „Ein Gespräch mit Pastor Hämmerling und alles war klar“, erinnert sie sich an die erste Begegnung mit dem damaligen Leiter der TelefonSeelsorge Lübeck. Mit einer derart intensiven Ausbildung hatte sie nicht gerechnet und zehrt noch heute davon.
Die Supervisionsgruppen und die regelmäßigen Fortbildungen bringen sie persönlich weiter. Die Geschichten der Menschen am Telefon, das Gespräch mit den anderen Ehrenamtlichen in geschützten Räumen, die Supervision durch Fachleute: „Man denkt dann eben auch über sich selbst nach“, sagt Hildegard Fiedler. Das empfindet sie als Geschenk. Zu Beginn ihres Dienstes am Telefon hat sie viele Anrufer und Anruferinnen in akuten Notsituationen erlebt: Alkohol, Gewalt gegen Frauen oder in der Familie. Heute erlebt sie Menschen am Telefon, die sich dauerhaft in Notsituationen befinden. Einsamkeit im Alter, Depressionen, permanente Alkoholsucht sind die Themen heute. Zwischen sieben und neun Mal hebt Hildegard Fiedler den Telefonhörer in einer Schicht ab. Wenn sie ein Gespräch besonders mitgenommen hat, meldet sie sich kurz einmal ab. Durchatmen, eine Tasse Tee trinken, eine Suppe essen. „Ich schätze es sehr, während meines Dienstes so gut umsorgt zu werden“, sagt sie. Das tut gut und gibt Kraft für den nächsten Anrufer, für den sie in dem Moment ein offenes Ohr haben will.