Ratzeburg (pm). In diesem Jahr feiert Ratzeburg den 950. Jahrestag seiner ersten urkundlichen Erwähnung. Zu diesem Anlass planten drei Männer vor etwa einem Jahr die Sammlung und Veröffentlichung von Geschichten: Klaus-Jürgen Mohr, Vorsitzender des Senioren-Beirats, Christian Lopau, Archivar der Stadt, und Hans-Joachim Höhne, langjähriger Schulmeister. Im vergangenen Sommer suchte die kleine Redaktionsgruppe über die Presse nach passenden Beiträgen. Die Geschichten sollen die heutige und kommende Generationen an Menschen erinnern, die man mit dem Namen „Ratzeburg“ verbindet und deren Gedächtnis es wert ist, bewahrt zu werden. Mit freundlicher Genehmigung der Initiatoren werden diese jetzt auch auf Herzogtum direkt zu lesen sein. Im vierten Teil lesen Sie etwas über den alten Ratskeller.
Der “Ratskeller” war das führende Hotel am Platze. Repräsentativ am Marktplatz gelegen fiel es auf durch die einladende, breite Veranda unter den gestutzten Lindenbäumen, die damals den ganzen Marktplatz säumten. Durch den Vorbau gelangte man in die weiträumige Diele mit der breiten geschwungenen Freitreppe, die in die oberen Hotelzimmer und den dazugehörigen Saal führte. Seitlich, von der Langenbrücker Straße aus, war die Einfahrt zu Hof und Stallungen für Pferde und Kutschengespanne. Links von der Einfahrt, in der Kutscherkammer, wohnte der Hoteldiener „Fiete vom Ratskeller“.
Der Misthaufen auf dem Hof, die Pumpe und ein kleiner Gemüsegarten wurden überschattet von einem großen Birnbaum. Links waren die Ställe und die Waschküche, rechts gelangte man über einen niedrigen Anbau, in der sich die Abwäsche befand, in die Hotelküche. Dort herrschte die kleine, rührige Frau des Besitzers, Erna Münstermann, die dafür sorgte, dass der Mittagstisch auch nach dem allmählichen Verfall des Hotels seinen guten Ruf für bürgerliche Küche behielt, während ihr Mann, Paul Münstermann, sich in den Gasträumen um eine behagliche Atmosphäre bemühte, was nicht ganz einfach war, da das Interieur unübersehbar den Stempel des Vergangenen trug.
Ernst Steinhusen, der clevere Besitzer der „Schauburg“, des einzigen Kinos in Ratzeburg, übernahm das Hotel von der Familie Münstermann. Das Restaurant bekam eine neue Einrichtung und die Hotelhalle erstrahlte im neuen, alten Glanz. Die Veranda, die in ihrer letzten Zeit rechts an das Sportgeschäft von Zaluskowski und links an die Volksbank verpachtet war, wurde abgerissen und machte so einem großzügigeren Hotelportal Platz, worauf der neue Besitzer durchaus stolz sein konnte.
Im Ratskeller tagte regelmäßig der Skatclub mit Max Horst, Georg Bernhöft und anderen. Am Stammtisch erzählte Ernst Steinhusen, der es mit den Fremdwörtern nicht so sehr genau nahm, dass auch der „Aburantenball“ wieder bei ihm stattgefunden habe. Und als er hörte, dass Dr. Schiwago im Kino war, behauptete er: „Der hat auch schon bei mir gewohnt“. Zu Walter Mohr sagte er: „Neulich habe ich einen sextilen Kollegen von dir getroffen, der auch so einen Panorama-Hut hatte wie du“.
Als Steinhusen den Ratskeller zum Verkauf anbot, erhielt Nachbar Walter Mohr vor der Volksbank, die auch mitgeboten hatte, den Zuschlag. Steinhusen blieb Pächter. Im August 1959 verursachte ein vergessenes Bügeleisen einen Dachstuhlbrand. Wegen des erheblichen Wasserschadens durch die Löscharbeiten musste das alte Gebäude abgerissen werden. An seiner Stelle entstand das vergrößerte Kaufhaus Mohr.
Ernst Steinhusen
„Freuen wollen wir uns, aber nicht amüsieren. Das hat unser Freund nicht verdient.“ Karl Pechascheck erinnert an seinen alten Freund und Gönner Ernst Steinhusen, mit dem er „50 Jahre lang in unserer kleinen Stadt zusammen leben durfte.“ Es folgen die Geschichten von „Dr. Schiwago, de ok all bi mi in den Ratskeller slapen hett“; von dem berühmten Film, demnächst zu sehen in seinem Burgtheater: „Der Glöckner von Rotterdam“. Sollte ihm beim Skat niemand erzählen, er wisse nichts von Euphorie! Natürlich habe er von Euphrat und Tigris gehört! Mit fremden Begriffen hatte Ernst es nicht leicht, aber er machte es sich leicht damit: Aus einem „Importeur“ wurde bei ihm ein „Impotenter“, einer, der an der „Peripherie“ wohnte, lebte bei ihm an der „Pissepherie“. Karl erinnerte sich, was Dr. Knoop, zeitweise Mittelschullehrer in Ratzeburg, später leitender Beamter im Kieler Kultusministerium, gesagt hatte: „Man soll die Fremdwörter besser nicht aussprechen; man weiß nicht, wer sie vorher mal im Mund gehabt hat.“
Ernst Steinhusen hatte Erfolg, was immer er anfasste. Er kaufte den Besitz der ehemaligen „Aktien-Brauerei“ und betrieb dort mit großem Erfolg das erste Tonfilm-Kino, die „Schauburg“. Karl denkt in seinen Erinnerungen dankbar an die niedrige Saalmiete zurück, die er für Aufführungen seiner Puppenbühne an seinen Freund zu zahlen hatte. Immer wieder weist Karl auf die Freude hin, mit der er seinem alten, längst verstorbenen Freund Ernst in einem Tonband voller Erinnerungen ein Denkmal setzen konnte für Menschen mit Humor, die es später hören.
„Fiete vom Ratskeller“
Beim Sammeln der Geschichten ist der Gute einige Male aufgetaucht. Er hat ja auch genug dazu beigetragen, in Erinnerung behalten zu werden. Leider sind seine Ölgemälde wohl nicht mehr erhalten. Er fotografierte nicht nur mit seiner Plattenkamera, er malte auch. Nach glaubwürdigen Aussagen alter Ratzeburger fotografierte und malte er besonders gern – nackte Damen! Schade, dass wir dafür keinen Beweis drucken können.
Fiete war stets hilfsbereit. Im Ratskeller gab es einen Stammtisch angesehener Ratzeburger Bürger. Wie das bei Stammtischen so geht: Es konnte spät werden. Zumindest einmal bat der Wirt, Herr Münstermann, Fiete um Hilfe, damit alle endlich ihre Betten aufsuchen könnten. Fiete ging zu einem, der ihm durch sein Durchhaltevermögen aufgefallen war: „So Herr X, nun wird’s Zeit, dass wir in’s Bett kommen!“ Herr X stand sofort auf, Fiete nahm ihn beim Arm, und sie gingen (es war nicht weit) heim. Weil der Hausherr Probleme mit dem Schlüsselloch hatte, überließ er das Öffnen der Haustür seinem freundlichen Begleiter. Der merkte, dass es mehr Schwierigkeiten geben könnte, und weil er nun mal ein freundlicher Mensch war, geleitete er Herrn X bis ins eheliche Schlafgemach. Man stelle sich die zugehörige Ehefrau in dieser Situation vor, die natürlich aufgewacht war! Sie tat das Klügste, was sie tun konnte – sie stellte sich schlafend. Ihr Ehemann sank auf sein Bett und schnarchte umgehend. Fiete hatte getan, was er tun musste; er zog sich zurück, verschloss die Haustür, und am nächsten Tag tauschte er bei einem angesehenen Bürger der Inselstadt dessen Haustürschlüssel gegen eine besonders schöne, dicke Zigarre ein.
Ach ja: Zigarren! Fiete hatte seine Kammer an der Durchfahrt von der Langenbrückerstraße zum Hof hinter dem Ratskeller. Kamen Leute vom Dorf mit dem Fahrrad in die Stadt, nahm er die Drahtesel in Verwahrung. Er hatte natürlich eine genaue Übersicht über alles, was bei ihm vorbei kam, hinein wie hinaus, tags wie nachts. Er bemerkte also, dass die beiden hübschen jungen Mädchen, die bei Frau Münstermann in der Küche arbeiteten, gern am Sonnabendabend zum Tanzen ins „Bellevue“ in der Möllner Straße gingen – und dass sie nach dem Tanzen nicht immer allein in ihre Kammern zurück kamen. Jedenfalls haben die beiden Mädchen, als sie längst Ehefrauen und Mütter waren, berichtet, Fiete habe sie mal angesprochen: „Seggt juche Kerls mal, se könnt mi ruhig mal ´ne Zigarr mitbringen, wenn ik se all mit juch dörchlaat!“
Fiete wusste sicher selbst, dass er bekannt, ja, populär in Ratzeburg war. Er hatte einmal auf einem Amt etwas zu erledigen. Der Beamte schaute in die Akte: „Ach, Sie sind Herr Karl Adolf Bernard.“ „Dumm Tüüch, ik bün Fiete von’n Ratskeller!“
Lesen Sie hier: Friedrich von’n Ratskeller (erzählt von Erni Lorenz, in “Ut Ratzeborg un Ümto“)
Fiete von’n Ratskeller (erzählt von Paul Goedeke)
Bisher erschienen:
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