Von Wolf-Dietrich Bartsch
Manche Dinge werden dieser Tage teurer, ohne das der Preis steigt. Eine Ware hat früher 2,98 Euro gekostet und kostet auch heute noch 2,98 Euro. Allerdings ist in der Packung weniger Ware. Bekam man früher 100 Gramm für den Preis, so sind es heute vielleicht nur 80 Gramm. Die Größe der Verpackung sieht jedoch aus wie eh und je. Sie hat sich nicht geändert – eine klassische Mogelpackung.
Die Richter des Bundesgerichtshofs hatten jetzt einen Fall auf dem Tisch, der sich bei uns Verbrauchern schnell mal im Portemonnaie niederschlägt. Es geht um das angemessene Verhältnis zwischen der Verpackung eines Produkts und der darin enthaltenen Füllmenge. Oder: Ab wann halten wir tatsächlich eine Mogelpackung in den Händen.Das ist passiert:Es klagt ein Verbraucherschutzverband gegen eine Firma, die Kosmetik- und Körperpflegeprodukte vertreibt. Diese Beklagte hatte auf ihrer Internetseite ein Herrenwaschgel im Angebot. Zur Größe wurde dort angegeben, dass die aus Kunststoff bestehende Tube eine Füllmenge von 100 ml beinhaltet. In der Online-Werbung ist die Tube auf dem Verschlussdeckel stehend abgebildet. Sie ist im unteren Bereich des Verschlussdeckels transparent und gibt den Blick auf den orangefarbigen Inhalt frei. Allerdings ist der darüber befindliche Bereich nicht durchsichtig. Dieser ist silbern eingefärbt. Tatsächlich ist die Tube nur im durchsichtigen Bereich mit Waschgel befüllt. Die Füllung reicht bis zum Beginn des oberen, nicht durchsichtigen Bereichs. Aus Verbrauchersicht dürfte das eine klassische Mogelpackung sein.
Der Verbraucherschutzverband hält daher auch die Online-Werbung für unlauter. Sie suggeriere eine tatsächlich nicht vorhandene nahezu vollständige Befüllung der Tube mit Waschgel. Die Klägerin nimmt deshalb die beklagte Firma auf Unterlassung in Anspruch.
So sehen es die Vorinstanzen: Die Klage blieb in den ersten beiden Instanzen ohne Erfolg. Das Berufungsgericht machte hier einen Unterschied zwischen der Online-Werbung und dem Einkauf vor Ort im Geschäft. Dort würde wohl die Verpackung ihrer Gestaltung und Befüllung nach eine größere Füllmenge als vorhanden vortäuschen. Denn dort könne der Verbraucher sie im Rahmen des Erwerbs im Laden in Originalgröße wahrnehmen. Das wäre ein Verstoß gegen Paragraf 43 Absatz 2 MessEG. Beim Kauf im Internet ist dieser Verstoß jedoch nicht spürbar. Dem Verbraucher bleibe die konkrete Größe der Produktverpackung verborgen. Und damit liege dann auch keine Irreführung nach § 5 Abs. 1 und 2 Nr. 1 UWG vor. Über den Hohlraum in der Verpackung werde nicht getäuscht.
Und das meint der BGH: Die Richterinnen und Richter beim Bundesgerichtshof (BGH) sehen das gänzlich anders. Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Die Begründung des Berufungsgericht reicht für den BGH nicht aus, um die Klage abzuweisen. Nach seiner Auffassung täuscht die beanstandete Produktgestaltung sehr wohl eine größere Füllmenge vor, als in ihr enthalten ist. Und das führt dann zu einer spürbaren Interessenbeeinträchtigung der Kunden. Durch den Schutzzweck des Paragraf 43 Absatz 2 MessEG sollen Kundinnen und Kunden vor Fehlannahmen über die relative Füllmenge einer Fertigpackung („Mogelpackung“) geschützt werden. Und dieser Schutzzweck gilt nicht nur vor Ort im Geschäft, er ist auch tangiert, wenn im Internet angepriesen und eingekauft wird. Daher hat der BGH die Beklagte zur Unterlassung verurteilt.Mogelpackung = Internetwerbung + IrreführungDie beanstandete Internetwerbung für das Waschgel verstößt auch gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb. Der BGH hat klargestellt: Eine wettbewerblich relevante Irreführung über die relative Füllmenge einer Fertigpackung liegt stets vor, wenn die Verpackung eines Produkts nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der darin enthaltenen Füllmenge steht. Im vorliegenden Fall war die Waschgel-Tube nur zu etwa zwei Dritteln gefüllt. Das ist für den BGH offensichtlich kein angemessenes Verhältnis mehr und damit ausreichend, um von einer Mogelpackung zu sprechen.
Fazit: Auf den Inhalt kommt es an; aber natürlich auch auf die Menge des Inhalts.
BGH, Urteil vom 29. Mai 2024 – I ZR 43/23 –
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