Kiel/Berlin (pm). Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken und die Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein (KGSH) haben sich am Dienstag im Rahmen einer erweiterten Vorstandssitzung der KGSH im Gesundheitsministerium zur Umsetzung der Krankenhausreform ausgetauscht. Im Nachgang informiert das Ministerium die Akteure im Land zum weiteren Verfahren.
Ministerin von der Decken erläutert: „Wir erhalten viele Fragen zur Umsetzung der Reform, und wir werden transparent zu den weiteren Schritten informieren: Das Bundesgesundheitsministerium steht zunächst in der Pflicht, die für die Umsetzung der Krankenhausreform notwendigen Verordnungen praxistauglich zu erarbeiten. Zudem muss der Bund das erforderliche Software-Werkzeug zur Zuweisung der zukünftigen Leistungsgruppen für das neue Abrechnungssystem zur Verfügung stellen. Welche Folgen es hat, dass der Bundesgesundheitsminister immer eine Auswirkungsanalyse zugesagt, aber nicht erstellt hat, zeigt sich jetzt. Kliniken, Bürgerinnen und Bürger und Politik brauchen Klarheit über die tatsächlichen Folgen der Reform. In Schleswig-Holstein werden wir die beteiligten Akteure im Land, insbesondere Krankenhausgesellschaft, Ärztekammer, KVSH, Krankenkassen, Rettungsdienst, Kommunen und Patientenvertretungen, bei der Umsetzung einbinden.“ Unabhängig davon wird sich Ministerin von der Decken auf Bundesebene parallel weiterhin für notwendige Korrekturen an der Reform einsetzen, wie sie alle Länder wiederholt und fachlich begründet gefordert hatten. Korrekturen seien jedoch realistischerweise erst mit einer zukünftigen Bundesregierung zu erwarten.
Patrick Reimund, Geschäftsführer der KGSH, betont: „Die Kliniken in Schleswig-Holstein sind gewillt, konstruktiv eine notwendige Reform mitzugestalten. Rückmeldungen der Kliniken im Land verdeutlichen jedoch, dass die wirtschaftliche Notlage der Kliniken mit der jetzigen Reform bestehen bleibt und damit die Sicherstellung der Versorgung gefährdet wird. Selbst nach Einschätzung des Bundes werden mehrere Jahre vergehen, bis eine Reform tatsächlich Wirkung entfaltet. Es fehlt weiterhin eine Übergangsfinanzierung des Bundes. Wir erwarten, dass sich Patientinnen und Patienten auf Einschränkungen in der klinischen Versorgung und längere Wartezeiten einstellen müssen. Bitte machen Sie sich bewusst, dass behandelnde Ärztinnen und Ärzte vor Ort gemeinsam mit den Pflegekräften dafür nicht die Verantwortung tragen, sondern sich im Gegenteil hoch engagiert für die Versorgung der Patientinnen und Patienten einsetzen.“
Zu den weiteren Schritten zur Umsetzung der Reform gehören laut KHVVG:
– Bereitstellung durch den Bund eines sogenannten Groupers, eines Software-Tools, mit dem zukünftig Behandlungsfälle sogenannten Leistungsgruppen zugeordnet werden. Die Leistungsgruppen dienen dem neuen Abrechnungssystems des KHVVG und sind damit auch entscheidend dafür, welche Klinik welche Leistung wo anbieten darf. Der Bund hatte die Bereitstellung des Groupers mehrmals verschoben und zuletzt für Januar 2025 angekündigt. Entsprechend wird auch der Prozess auf Landesebene verzögert.
– Erlass von Rechtsverordnungen durch das Bundesgesundheitsministerium, mit der u.a. die Leistungsgruppen und zugehörigen Qualitätskriterien konkret geregelt werden. Dies ist Voraussetzung für die notwendige Zuweisung der Leistungsgruppen an die einzelnen Kliniken.
– Nachweis der Erfüllung der Qualitätskriterien für die jeweiligen Leistungsgruppendurch die Kliniken im Land gegenüber dem Ministerium bis 30.9.2025 gemäß KHVVG. Das Ministerium prüft derzeit in Abstimmung mit anderen Ländern, wie ein dafür standardisiertes Selbstauskunftsverfahren für die Kliniken umgesetzt werden kann.
– Begutachtung durch den Medizinischen Dienst (MD) über die Erbringung der jeweiligen Qualitätskriterien. Derzeit werden – ebenfalls in Abstimmung mit anderen Ländern – geeignete Schnittstellen dafür mit dem MD geprüft.
– Unter Berücksichtigung einer Versorgungsbedarfsanalyse im Land und der mitgeteilten Daten der Kliniken wird das Ministerium Regionalgespräche mit den Kliniken durchführen, damit die aufgrund des KHVVG erforderlichen Anpassungen umgesetzt werden können. Diese sollen bei Bedarf in Regionalkonferenzen unter Beteiligung weiterer Akteure wie beispielsweise dem Rettungsdienst oder auch der kommunalen Politik münden.
– ein neuer Krankenhausplan kann aufgrund der Verzögerungen im bisherigen Prozess zum KHVVG unter Einbeziehung von dessen Vorgaben anschließend, nach derzeitigem Stand, frühestens im Jahr 2026 erstellt werden. Dies erfolgt in Abhängigkeit vom weiteren Verfahren zum KHVVG. Dringliche und für die Aufrechterhaltung der Krankenhausinfrastruktur notwendige Investitionsmaßnahmen – zum Beispiel weil aus Gründen des Brandschutzes, der Betriebssicherheit oder Einhaltung von Hygienevorgaben baulich-technische Maßnahmen erforderlich sind – werden vor dem Hintergrund der zu erwartenden Umsetzung des KHVVG auch weiterhin auf den Weg gebracht. Ebenso werden bereits laufende Bauprojekte zielgerichtet fortgeführt.
Ministerin von der Decken betont: „Mein Ziel ist es, trotz des engen Korsetts des KHVVG, die Leistungsfähigkeit der Krankenhäuser soweit wie möglich zu erhalten. Nach jetzigem Stand sehe ich die Versorgung gerade in ländlichen Regionen durch die Reform jedoch gefährdet. Auch das richtige Ziel einer Entökonomisierung wird aufgrund der weiterhin vorhandenen Abhängigkeit von Fallzahlen verfehlt. Dies wird insbesondere kleineren Kliniken zu schaffen machen“. Aber auch für größere Kliniken sowie Fachkliniken sind aufgrund der starren Vorgaben des KHVVG negative Auswirkungen zu erwarten. Erneut macht Ministerin von der Decken deutlich, dass die originären Ziele der Krankenhausreform Entökonomisierung, Entbürokratisierung und Zentralisierung von komplexen planbaren Leistungen bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer Grund- und Notfallversorgung in der Fläche befürwortet werden, diese aber mit dem derzeitigen KHVVG nicht erreicht werden.
Größte Kritikpunkte der Länder – auch von Ländern, die gegen eine Anrufung des Vermittlungsausschuss im Bundesrat gestimmt hatten – waren unter anderem zu starre Strukturvorgaben, eine Vorhaltefinanzierung, die dem Namen nicht gerecht wird, eine fehlende Überbrückungsfinanzierung und Bürokratieaufbau anstatt Bürokratieabbau. Diese finden Sie auch in der Protokollerklärung u.a. Schleswig-Holsteins zur Bundesratsabstimmung vom 22.11.2024 (Anlage 7, S 460) unter: ttps://www.bundesrat.de/SharedDocs/downloads/DE/plenarprotokolle/2024/Plenarprotokoll-1049.pdf?__blob=publicationFile&v=2
Rede Bundesrat: https://www.schleswig-holstein.de/DE/landesregierung/ministerien-behoerden/II/Presse/PI/2024/Gesundheit/241122_khvvg?nn=b86b3c25-ebd5-4bef-8d38-a1683afc9c00 Zudem wurde ein Entschließungsantrag von den Ländern gefasst: https://dserver.bundestag.de/brd/2024/0532-2-24.pdf
Fragen und Antworten
Wann ist mit der Umsetzung der Krankenhausreform zu rechnen?
Das KHVVG tritt zum 1.1.2025 in Kraft. Mit den eigentlichen Auswirkungen ist jedoch primär beginnend ab 2027 zu rechnen. Dies ist jedoch auch abhängig davon, dass der Bund die dafür notwendigen Verordnungen erlässt. Der Bundesgesundheitsminister hatte selbst von einem Zeithorizont von 10 Jahren für eine Umsetzung gesprochen.
Werden die Akteure in Schleswig-Holstein in die Umsetzung eingebunden?
Ja. Zwischen Ministerium und Krankenhausgesellschaft ist die Fortsetzung eines konstruktiven Austausches zur Umsetzung vereinbart. Aber auch andere wichtige Akteure wie Ärztekammer, KVSH, Krankenkassen, Rettungsdienst, Kommunen und Patientenvertretungen werden eingebunden werden zu gegebener Zeit.
Lassen sich schon konkrete Auswirkungen mitteilen?
Aufgrund der noch ausstehenden Rechtsverordnungen, des fehlenden Software-Tools und der dann darauf basierenden Nachweise der Kliniken sowie deren Prüfungen lassen sich die konkreten Auswirkungen derzeit noch nicht ermitteln. Es gibt jedoch Vorgaben, auf dessen Basis sich bereits voraussichtliche Konsequenzen abzeichnen. Dazu gehören z.B.:
· Versorgungskonzepte, die in Schleswig-Holstein passgenau entwickelt wurden, zum Beispiel in der Schlaganfallversorgung, können nicht mehr umgesetzt werden. Grund ist, dass Kooperationen und Arbeiten im Verbund nur noch Fachkliniken und Krankenhäusern mit einem Sicherstellungszuschlag in bestimmten Leistungsgruppen vorbehalten sind.
· Auch neue Konzepte in der Geburtshilfe können aufgrund der starren Standortvorgaben im KHVVG in Kombination mit der fehlenden Möglichkeit für Ausnahmen im KHVVG nicht eingeführt werden.
· Die Versorgung mit spezialisierten Leistungen in Fachkliniken ist mindestens fraglich. Es widerspricht dem Kern der fachklinischen Behandlung, weitere allgemeine Leistungen anbieten zu müssen. Eine solche Vorgabe ist auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel nicht sachgerecht. Ob die Öffnung für die Erbringung von artverwandten Leistungen in Kooperation geeignet ist, die spezialisierten Kliniken in der Versorgung zu erhalten, wird sich zeigen. Näheres zu den weiteren Voraussetzungen für Fachkliniken soll mit Einführung der angekündigten Rechtsverordnung bekannt werden.
· Mindestvorhaltezahlen, die zum 01.01.2026 eingeführt werden, könnten zu Fehlanreizen oder dem Wegfallen von Angeboten führen.
Die Konsequenzen im Einzelnen werden gemeinsam mit den Beteiligten thematisiert werden, wenn sich diese konkretisieren lassen.
Gibt es noch die Möglichkeit, Verbesserungen an der Reform zu erzielen?
Das zu Grunde liegende Gesetz wird zum 1.1. 2025 in Kraft treten. Daher arbeitet Schleswig-Holstein konstruktiv gemeinsam mit den Akteuren an der Umsetzung. Ministerin von der Decken wird sich unabhängig davon parallel auf Bundesebene dafür einsetzen, dass fachlich notwendige Korrekturen am Gesetz erfolgen. Vor dem Hintergrund des vorzeitigen Endes der Regierungskoalition auf Bundesebene könnten Korrekturen realistischerweise erst mit einer nächsten Bundesregierung erfolgen.
Zieht Schleswig-Holstein in Erwägung, gegen das Gesetz zu klagen?
Im Vordergrund stehen für Ministerin von der Decken jetzt die Umsetzung, Parallel dazu, der Einsatz für mögliche Verbesserungen mit einer nächsten Bundesregierung. Eine Klage ist mittelfristig weiterhin nicht auszuschließen, würde aufgrund der jetzigen Herausforderungen angesichts der Verfahrensdauer kurzfristig jedoch nicht die aktuellen Probleme der Klinikversorgung lösen.
Rettet die Krankenhausreform die Krankenhäuser vor der Insolvenz?
Damit ist nicht zu rechnen. Die Reform wird erst in zwei bis drei Jahren beginnen, ihre Wirkung zu entfalten. Zwar ist vorher eine leichte Verbesserung der Vergütung vorgesehen, die jedoch nicht einer echten und notwendigen Übergangsfinanzierung bis zum Greifen der Reform gerecht wird. Für die „wirtschaftliche Sicherung der Krankenhäuser“ ist laut Grundgesetz (Art. 74 Abs. 1 Nr. 19a) der Bund zuständig.
Können die Länder die Insolvenzen der Krankenhäuser durch Investitionen aufhalten?
Nein. Eine Insolvenz ist in der Regel damit begründet, dass die laufenden Ausgaben die Einnahmen dauerhaft übersteigen. Die Gründe, warum Krankenhäuser Insolvenz anmelden, liegen vor allem in erhöhten Betriebsausgaben, etwa aufgrund von Tarifsteigerungen, der Steigerung von Energiekosten oder der Inflation insgesamt. Für die Regulierung der Krankenhausvergütung ist der Bund verantwortlich. Die Länder sind für die Investitionen in den Bau und in die Grundausstattung der Kliniken zuständig. Der Anteil dieser Investitionskosten macht jedoch nur einen Bruchteil der gesamten Krankenhauskosten aus; gleichwohl besteht auch hier großer Bedarf. Schleswig-Holstein engagiert sich sehr, diesem Bedarf Rechnung zu tragen. Es zeichnet sich ab, dass Land und Kommunen in 2024 den Krankenhäusern deutlich mehr Investitionsfördermittel bereitstellen werden als in den zurückliegenden Jahren.
Grundsätzliche Info: schleswig-holstein.de – Krankenhäuser