Kiel (pm). Kinder und Jugendliche in Schleswig-Holstein sind in erheblichem Umfang von Armut betroffen, aber nicht alle Minderjährigen tragen dabei ein gleich großes Armutsrisiko. Das ist der zentrale Befund des ersten Berichts zur sozialen Situation von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein, den Sozialministerin Aminata Touré heute zur sogenannten Kinderarmutskonferenz in Neumünster vorlegt. Laut Bericht waren 22,5 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Land im Jahr 2022 armutsgefährdet. Deutlich überdurchschnittlich war das Armutsrisiko bei Kindern von gering qualifizierten (53,4 Prozent) oder erwerbslosen Eltern (72,8 Prozent), von Alleinerziehenden (40 Prozent) oder in Familien mit drei oder mehr Kindern (37,6 Prozent). Ein besonders hohes Armutsrisiko tragen Minderjährige mit Migrationshintergrund (40,5 Prozent) im Vergleich zu Kinder und Jugendlichen ohne Migrationshintergrund (13,2 Prozent).
Sozialministerin Aminata Touré: „Unser Bericht legt den Finger in die Wunde. Rund jedes fünfte Kind im Land lebt unterhalb der Armutsgrenze. Ich finde das unerträglich und inakzeptabel. Wir müssen alle politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Hebel in Bewegung setzen, damit alle Kinder faire Zukunftschancen haben.“
Die Analyse, so die Ministerin, zeige auch: „Armut fällt nicht vom Himmel. Es gibt klare Ursachen und Zusammenhänge. Nicht alle Kinder und Jugendlichen sind gleichermaßen von Armut betroffen. Also müssen wir vor allem an den Stellschrauben arbeiten, mit denen das Armutsrisiko gesenkt werden kann.“ Hierzu gehörten grundsätzliche eine verlässliche Kindertagesbetreuung sowie eine funktionierende Ganztagsbetreuung in der Schule. Aber auch Verbesserungen in der Erwerbssituation und bei der Arbeitsmarktintegration seien wichtig. So sind laut Bericht Kinder aus Paarhaushalten, in denen beide Elternteile erwerbstätig sind und davon mindestens ein Elternteil in Vollzeit arbeitet, nur zu 5,9 Prozent armutsgefährdet. Wenn dagegen nur ein Elternteil in Vollzeit arbeitet und der zweite Elternteil nicht erwerbstätig ist, steigt das Armutsrisiko auf 29,9 Prozent.
Weitere Verbesserungen brauche es auch bei den Angeboten und Hilfeleistungen für Kinder, Jugendliche und ihre Familien. Es braucht mehr Transparenz und bessere Zugänge. Das Land möchte mit einem Modellprojekt kommunale Präventionsketten aufbauen und weiterentwickeln, um möglichst früh die Folgen von Armut zu bekämpfen. „Wer schon als Kind in Armut lebt, hat schlechtere Bildungs- und Teilhabechancen. Um mehr Chancengerechtigkeit zu erreichen müssen wir ungleiches ungleich behandeln“, sagte Touré.
Weitere zentrale Erkenntnisse des Berichts zur sozialen Situation von Kindern und Jugendlichen in Schleswig-Holstein:
- Die Zahl der Minderjährigen ist durch Zuwanderung gestiegen. Damit steigt der Anteil der Minderjährigen mit Migrationsgeschichte, in den kreisfreien Städten ist er überdurchschnittlich hoch.
- Ehepaar-Familien sind nach wie vor die häufigste Familienform. 18 Prozent der Minderjährigen leben bei Alleinerziehenden; Minderjährige mit Migrationsgeschichte haben mehr Geschwister.
- Berufliche Qualifikation und Erwerbsbeteiligung der Eltern variieren nach Familienform und Migrationsgeschichte. Die Erwerbsbeteiligung von Eltern unter 3-Jähriger ist deutlich gestiegen.
- Ein erhöhtes Armutsrisiko kann für Kinder und Jugendliche kurz-, aber auch langfristig negative Folgen für ihr körperliches und psychisches Wohlergehen haben
- Die Kindertagesbetreuung für unter 3-Jährige wurde deutlich ausgebaut, dabei existieren aber regionale Unterschiede. Die Inanspruchnahme der Kindertagesbetreuung variiert nach sozialer Herkunft.
- Familiäre Bildungsstand und Armut können einen negativen Einfluss auf den Entwicklungsstand der Kinder bei Einschulung sowie auf und Übergewicht bis hin zu Adipositas haben.
- Die Wahl der weiterführenden Schule und die erzielten schulischen Bildungsabschlüsse hängen stark vom soziodemografischen Hintergrund der Schülerinnen und Schüler ab.
- Nach Jahren des Rückgangs von Mindestsicherungs- und SGB II-Quoten war 2022 erstmals wieder ein Anstieg wegen des Zuzugs aus der Ukraine insbesondere von Familien mit Kindern zu verzeichnen.
- Der Anteil der Minderjährigen, die als relativ einkommensarm gelten, steigt seit Jahren leicht an, wird aber wesentlich von den weiteren Rahmenbedingungen in der Familie beeinflusst.
- Das hohe Armutsrisiko von Minderjährigen mit Migrationsgeschichte lässt sich teils durch typische Armutsrisikofaktoren und teils durch migrationsspezifische Faktoren erklären.
- Armut hat viele Gesichter und ist mehrdimensional; bei jedem achten Minderjährigen treten in mehreren Bereichen gleichzeitig Risikolagen auf.