Von Wolf-Dietrich Bartsch
Eine Adoption ist ein großer Umbruch in einem Kinderleben. Klar, dass sich das adoptierte Kind irgendwann die Frage stellt, wer sind eigentlich meine „richtigen Eltern“. Und dann stellt es diese Frage natürlich auch seinen Adoptiveltern oder dem ihm bekannten „wirklichen“ Elternteil. Der auch für das Familienrecht zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat die Rechte des Adoptivkindes gestärkt. Er entschied, dass die leibliche Mutter auch nach einer Adoption grundsätzlich verpflichtet ist, ihrem Kind Auskunft über die Identität des leiblichen Vaters zu erteilen.
Das ist passiert:
Die Antragstellerin (das Kind) ist im Jahr 1984 geboren. Sie verlangt von der Antragsgegnerin, ihrer leiblichen Mutter, Auskunft über die Person des leiblichen Vaters. Die Familienverhältnisse waren von Geburt an problematisch. Die Mutter war bei der Geburt gerade 16 Jahre alt und hatte die Schwangerschaft erst im siebten Monat bemerkt. Sie verließ die Hauptschule ohne Schulabschluss. Mutter und Tochter lebten zunächst in einem Mutter-Kind-Heim. Danach ging es in eine Mädchen-Wohngemeinschaft. Die Antragstellerin wurde dann von einem Ehepaar adoptiert.
Nach der Adoption blieben Vaterschaftsfeststellungsverfahren und Vaterschaftstest erfolglos. Das Jugendamt vermittelte in 2003 ein Treffen zwischen Antragstellerin und Antragsgegnerin. Im März 2018 forderte die Tochter dann ihre Mutter auf, Namen und Anschrift des leiblichen Vaters zu benennen. Dies blieb erfolglos, so dass sie nun gerichtlich diese Auskunft verlangt. Das Amtsgericht hat den Antrag noch zurückgewiesen. Das Oberlandesgericht verpflichtete dann aber in 2. Instanz die Antragsgegnerin, ihrer Tochter alle Männer mit vollständigem Namen und Adresse zu benennen, die der Antragsgegnerin in der gesetzlichen Empfängniszeit beigewohnt haben.
Und das sagt der BGH:
Mit der Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin kam das Verfahren schließlich zum Bundesgerichtshof. Der BGH hat die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen und damit den Beschluss des OLG gestützt.
Eltern und Kinder sind einander zu Beistand und Rücksicht verpflichtet. Das ergibt sich aus § 1618 a BGB, der damit die Anspruchsgrundlage der Tochter für die begehrte Auskunft ist. Der BGH sieht in diesem Zusammenhang auch das allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Daraus resultiert die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Staates, den Einzelnen vor der Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene Abstammung zu schützen. Es geht hier eben nicht nur um die Durchsetzung finanzieller Interessen. Es geht vielmehr um das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Und das gilt es zu stärken.
Formell ist allerdings die Antragsgegnerin aufgrund der Adoption der minderjährigen Antragstellerin nicht mehr deren rechtliche Mutter. Diese Hürde überspringt der BGH aber leicht. Das Auskunftsschuldverhältnis zwischen Tochter und Mutter ist nämlich schon vor der Adoption entstanden. Die Antragsgegnerin hat zudem keine erheblichen, gegen ihre Auskunftsverpflichtung sprechenden Abwägungsgesichtspunkte vorgetragen. Vielmehr hat sie zu keinem Zeitpunkt den Auskunftsanspruch bestritten.
Die Antragsgegnerin argumentiert nur mit mangelndem Erinnerungsvermögen. Sie könne sich an keinen möglichen Erzeuger erinnern. Damit hat die Antragsgegnerin aber nicht den Auskunftsanspruch erfüllt. Gründe, warum die Auskunft auch nach Einholung von zumutbaren Erkundigungen unmöglich sein soll, hat sie nicht benannt. Das Oberlandesgericht hat sogar eine Reihe von möglichen Kontaktpersonen aufgelistet. Dort kann sie nachfragen. Das hält der BGH für klar zumutbar. Und eine Erfolgsaussicht kann zumindest nicht von vornherein verneint werden.
BGH, Beschluss vom 19. Januar 2022 – XII ZB 183/21 –
Bisher erschienen:
Recht im Blick: Kindesunterhalt – neue „Düsseldorfer Tabelle“ für 2023