Von Vera Bade
Für das Konzert des syrischen Pianisten Aeham Ahmad am Freitag, 29. November, im Stadthauptsmannshof in Mölln waren auch viele Ratzeburger angereist. Und sie waren ergriffen von der Improvisationen des großartigen Musikers ebenso wie von seinem Buch, aus dem Jörg-Rüdiger Geschke zwischen den Pianoimprovisationen Auszüge vorlas. Die Musik und die Gedanken des Pianisten, seine Erzählungen über den Krieg in Syrien, über Leben und Tod, über seine Kindheit, Freunde, seine Familie flossen zusammen in einem schmerzerfüllten, meist wortlosen Gesang. Er ermutigte die Anwesenden, mit ihm an manchen Stellen in den Gesang wortlos einzustimmen und im Saal erhob sich dann ein mitfühlender Chor. Das war erstaunlich, denn es ging um Trauer und nicht um Schlager der Popmusik.
Das Konzert fühlte sich an wie eine Aktion gegen alle Kriege der Welt, mit „Klangbildern“, die Aeham Ahmad den Zuhörern aus persönlichen Erinnerungen durch Musik und „einer Stimme aus den Kriegsruinen“ ausmalte. Der ungewöhnliche Musiklehrer ist mit der Kraft der tiefen Gefühle gesegnet und dem Talent, sie mitzuteilen. In seinen Improvisationen vermischten sich Klassik aus dem Westen mit Gesang aus seiner Heimat, man könnte es als Botschaft „we are the world, we are the family“ empfinden. Die Auszüge aus dem Buch sind voll von Szenen aus Syrien im Krieg: Eindrücke, die die Zuschauer mitnahmen. Aber er erzählte auch aus seinem Leben und Gedanken in Deutschland, seine Schuldgefühle denen gegenüber, die im Krieg geblieben sind, und über seine Konzerte, die die Menschen berühren.
Als er in Syrien mitten im Krieg sein Klavier hervorholte und für die Nachbarn spielte, auch für die Kinder und mit Kindern, konnte er keine Verantwortung für sie übernehmen, da sie alle von Granaten und Raketen getroffen werden konnten. Hier spielt er jetzt, wo Menschen sich nicht vorstellen können, dass Krieg auch Europa erreichen könnte. Über 70 Jahre in Frieden machen Menschen bequem und blind.
Europa kennt aber Feindbilder und Militärmaneuver, und die sind immer Übungen für Kriege. Das nächste – der größte seit dem Ende des Kalten Krieges – kommt schon im Frühjahr, wie uns vor kurzem die NATO mitteilte. Auch wenn angeblich „nur“ Logistik geübt wird: schon eine technische Panne könnte Krieg auslösen, den dann keiner wollte aber auch keiner stoppen kann. Und im Krieg tun doch alle so, als seien sie die Guten. „Kriege sind überfinanziert und Frieden ist unterfinanziert“, sagte mal Kofi Annan.
Der syrische Musiker Aeham Ahmad ist nicht allein in seinem Protest gegen die Barbarei der Kriege. Er beendete sein Konzert mit der Melodie des deutschen Liedes „Schlaf, Kindlein, schlaf“, das von Zuhören mitgesungen wurde. Erwähnt wurde, dass es auch andere Varianten des Textes gibt, darunter eine wo es darum geht, dass eine Mutter ihr totes Kind im Arm hält und das Lied singt… „der Vater ist im Krieg“, im Krieg töten Männer „feindliche ?“ Kinder.
Der Irrsinn des Krieges ist heute Millionen Flüchtlingen am eigenem Schicksal bekannt. Nur hat nicht jeder von ihnen eine Chance, davon zu erzählen wie der syrische Pianist Ahmad. Aber sein Bild am Piano vor den Ruinen ging um die Welt und wir sollten ihm zuhören. Kann er uns aufrütteln und angesichts der Aufrüstung von heute wieder für eine Friedensbewegung aufwecken?