Von Vera Bade
Ein evangelischer Pastor hat mir mal gesagt: „Ich rede bei einer Trauerfeier über den Wert des menschlichen Lebens und ich weiß, dass die vor mir stehenden in einem verbissenen Erbstreit miteinander sind“. Er ist ein fröhlicher Pastor, der viele Freunde auf der Welt hat, ein neugieriger aufgeschlossener Mensch, der mir mal sagte: „Du bist ja eine atheistische
Christin“. Sein Denken ist nicht dogmatisch, kennt also keine ideologische Strenge und keine Schablonen. Er selbst fährt Fahrad, sein Sohn aber – ein Auto als Statussymbol, „ich weiß nicht, von wem er das hat“, wunderte er sich mal…
In einer Kleinstadt wie Ratzeburg, bemerken die Bewohner schnell neue Gesichter, und gerade über „die Fremden“, die ungewöhnlichen Biografien haben, wird bei manchen die Gerüchteküche eingeschaltet. Da ich viel herum komme, neue Kontakte knüpfe und Gespräche suche, haben mir manche Passanten mit ihren Augen signalisiert: „Ach, Du bist es!“.
Da Menschen normalerweise sich nicht alle miteinander „grün“ sind, auch die, die verwandt sind, leisten viele ihren Beitrag in den „Küchentopf“. „Warum reden die Leute über die anderen und nicht mit ihnen?“, fragte mal der Pastor. „Vielleicht, weil sie nicht neugierig sind?“, vermutete ich. Der Pastor war aber neugierig und wir haben uns gegenseitig zum
Essen eingeladen, um zu reden.
In rund 35 Jahren, die ich die idyllisch gelegene Ortschaft mit Familie ab und zu besucht habe, wo ich jetzt permanent wohne, kam es mit keinem der angeheirateten Verwandten zu so einem Gespräch. Ein freundliches Hallochen und Umarmungen wurden mir zwar immer geschenkt, aber sonst wenig Neugier einer Nicht-Deutschen gegenüber. Waren nur die Besuche zu kurz? Von manchen, mit denen ich kurz oder länger mit Mann und Kind unter einem Dach wohnte, empfand ich eher eine unausgesprochene Warnung: „das ist u n s e r Haus, u n s e r Gründstück!“ Die Warnung hing in der Luft, war in den Blicken der Bewohner
ablesbar. Aber gleichzeitig war eine gewisse Gnade und „Tolerierung“ da, meine „Papiere“ waren ja in Ordnung. Fehlendes Interesse für meine Heimat oder meine Gedanken ist für mich kein Problem. Es gibt ja andere Menschen und andere Orte.
Aber nachdem das Gesicht des idyllischen Örtchens, wo wir wohnen, sich sichtbar verändert hatte – plötzlich waren dunkelhäutige Menschen da und sogar ganz schwarze, mit ihren Familien, in ihren exotischen Kleidern – war wenigstens bei mir Neugier über deren andere Traditionen und Mentalitäten geweckt. Und ich dachte nach über meine Vorgeschichte hier, verglichen mit ihrer. Wie kommen die Neuen in dieser Welt zurecht mit ihren Traditionen und Mentalitäten?
Einem deutschen Ehepaar habe ich ein Büchlein mit Sprüchen von Khalil Gibran geschenkt. Dabei sagte ich: „Über 20 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund sind schon da, darunter zirka fünf Millionen Muslime. Wir müssen verstehen, wie sie denken.“ „Müssen wir?“, fragte der Ehemann mit einer leicht verwunderten Miene. Seine Partnerin war von Khalil Gibran aber gleich begeistert.
Wenn wir mit den Neuen nicht reden, dachte ich später, und sie bloß tolerieren oder ignorieren, gar unsere Verachtung zeigen (ich sah wie manche Passanten auf der Straße versuchten Asylanten mit Hass in ihren Blicken zu „vertreiben“, eine Passantin hat einem „Hau ab!“ ins Gesicht geschrien), was erwartet uns dann?
Die Flüchtlinge, so habe ich später gemerkt, meiden jetzt die Augen der Einheimischen. Sie müssen ja hasserfüllte Blicke ignorieren, um hier leben und ihre Kinder aufziehen zu können. Ich hatte „Glück“, lange Zeit toleriert zu sein. Aber ich musste auch erst Grimassen und Nasenrümpfen in meine Richtung ignorieren, wenn ich hier mal Ferien verbrachte. Ein paar Jahrzehnte sind vergangen und bei mir ist ein Freundeskreis hier in Ratzeburg entstanden,wo ich mich wohl fühle.
Es wird immer Leute geben, die nichts über 2.000 Jahre Migration wissen (die Ausstellung dazu läuft noch in Hamburg), die nicht mal wissen, dass ihre eigenen Ahnen auch mal Migranten waren (in Ratzeburg zuletzt 1945!) und dass in Deutschland heute 20 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund leben. Dass wegen der demografischen Entwicklung der Arbeitskräftemangel in vielen Bereichen den Firmen Sorgen macht. Dass Globalisierung nicht aufzuhalten ist (Ein „Globalisierungsatlas“ wurde gerade publiziert).
Von Kriminellen, die mit dem Bauch und nicht mit dem Kopf denken, kamen Schüsse auf Menschen wie zuletzt den amtierenden CDU Politiker Walter Lübcke. Von 180 anderen, die von Gleichgesinnten vor Lübcke umgebracht wurden, gehen die Namen nicht durch die
Presse…
Was passiert, wenn Menschen nebenan ignoriert oder gar gehasst werden? Die gehassten haben ja zunächst keine Wahl, sie ja müssen damit leben. Nur der Spaß an Integration ist ihnen gleich „verdorben“, wenn nicht genommen. Aber es wäre so wichtig, die Integrationserfahrung positiv weiterzugeben.
Lohnt es sich wirklich, den Neuen deutlich zu zeigen: „Es ist u n s e r Stück Erde, u n s e r See!“? Die Kinder der Neuen, die der „Fremden“, werden sich in Deutschland sowieso bald zu Hause fühlen. Die zerbombten oder zur Wüste gewordenen Länder ihrer Eltern werden sie nicht kennen. Deutsche Kindergärten und Schulen werden ihre Heimat sein. Ein paar Nachbarn mit bösen Blicken werden sie nicht zu sehr stören, wenn andere Menschen ihnen mit freundlichen Blicken begegnen. Es ist halt so im Leben: es gibt solche und solche, auch unter Alteingesessenen!
Es gibt ein Märchen der Gebrüder Grimm, wo ein Schilling in ein anders Land kommt, wo der für eine Falschmünze gehalten wird. Der Schilling leidet darunter: „Ich bin hier nichts wert, was nutzen mir meine Prägung und Wert!“ Es ist nicht so wichtig, wie es ihm weiter ergeht, aber das Ende ist, so erinnere ich, gut: „Alles kommt zu Recht, du musst nur aushalten, Dein Wert wird schon erkannt werden…“
Ich versuche die Neuen mit freundlichen Blicken zu ermutigen: halte aus und dein Wert wird anerkannt. Ich denke, es ist ihnen wichtig, denn die idyllische Landschaft ist nicht mit Harmonie und Ruhe gleichzusetzen. Auch unter den Alteingesessenen brodelt es manchmal, und trügerische Ruhe wurde woanders schon durch Schüsse gestört. Mit dem richtigem Wissen, Aufklärung und Haltung kann man so etwas vielleicht verhindern.
„Die Haltung der Einzelnen hat gesellschaftlichen Wirkung“, sagte mal ein Politiker. Wie man miteinander umgeht, ist auch Kultur…