Ratzeburg (pm/aa). In den letzten Jahren kam es in Deutschland zu einem deutlichen Anwachsen von Rassismus, Muslimfeindschaft, Antisemitismus und menschenfeindlichen Einstellungen gegenüber Minderheiten. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, Menschen, die demokratische Werte leben und fördern, zusammen zu bringen, in ihrem Handeln zu stärken und zu qualifizieren. Eine besondere Bedeutung kommt dabei der Stärkung demokratischer Akteure und Ideen in den ländlich geprägten Regionen Mecklenburg-Vorpommerns und Schleswig-Holsteins zu.
Die zehnte Regionalkonferenz ‚Rechtsextremismus & Demokratieförderung‘ am Sonnabend, 10. November, bietet daher auch in diesem Jahr Menschen aus den norddeutschen Bundesländern eine überregionale Plattform für Vernetzungen und Weiterbildungen zu den Bereichen Demokratieförderung und der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus. Dabei waren die zurückliegenden Jahre sehr erfolgreich. Über 1.300 Multiplikatoren und Akteure gegen Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus konnten bereits handlungsorientiert geschult, überregional vernetzt und fachlich-inhaltlich fortgebildet werdet.
Zum zehnmaligen Jubiläum warfen die Vertreter der veranstaltenden Institutionen im Rahmen eines Pressegesprächs auch einen Blick zurück auf die Erfolge der letzten sechs Jahre. Auf der zehnten Regionalkonferenz soll daher neben den aktuellen Entwicklungen auch eine Bestandsaufnahme erprobter Konzepte zur Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Einstellungen ihren Platz finden. Desweiteren sollen Erfolgsgeschichten beim Zurückdrängen von Rechtsextremismus in unseren Regionen aufgezeigt und gewürdigt werden.
„Es begann in den Jahren 2007/2008 mit den ersten deutlichen rechtsextremen Aktivitäten in Ratzeburg“, erinnert sich Bürgermeister Rainer Voß. Dazu zählte unter anderem eine angemeldete Demo Rechtsextremer auf dem Ratzeburger Marktplatz. Voß: „Dazu habe ich mich dann mit Pröbstin Frauke Eiben kurzer Hand dagegen gestellt.“ Gemeinsam erwuchs daraus das „Ratzeburger Bündnis gegen Rechts“. Anfang 2012 gipfelten die Aktivitäten der Rechtsextremen dann in Schmierereien auf der Fassade des Ratzeburger Rathauses. Es handelte sich unter anderem um Morddrohungen gegen Voß selbst und andere prominente Köpfe, die sich aktiv gegen die rechten Umtriebe stellten (Herzogtum direkt berichtete). Als Reaktion darauf wurde im Frühjahr 2012 die erste, im Herbst die zweite Regionalkonferenz ‚Rechtsextremismus & Demokratieförderung‘ unter anderem mit Vertretern aus Mecklenburg Vorpommern und Stormarn ins Leben gerufen und seitdem an wechselnden Orten im Jahresrhythmus veranstaltet. Der regionale Ansatz der Konferenz trug vom Vornherein der Erkenntnis Rechnung, dass die Aktionsräume von Neonazis sich nicht an Verwaltungs- und Landesgrenzen orientieren, sondern sich in regionalen und auch überregionalen Bezügen und Netzwerken manifestieren. „Wir waren entsetzt, was hauptamtliche und ehrenamtliche Kollegen berichteten“, so Voß weiter.
In diesem Jahr wird die Konferenz wieder in Ratzeburg ausgerichtet und der Verein Miteinander leben hat sich erneut bereit erklärt, als verantwortlicher Ausrichter zu fungieren, zusammen mit den Kooperationspartnern RAA Westmecklenburg, dem Regionalen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus Lübeck, dem Jugendfachdienst des Kreises Stormarn und dem Ratzeburger Bündnis. Ebenso beteiligt sich die „Partnerschaften für Demokratie“ aus Ratzeburg/Amt Lauenburgische Seen als Gastgeber an der Ausgestaltung der Konferenz.
In Ratzeburg konnten im Laufe der Jahre die rechtsextremen Aktivitäten erfolgreich zurück gedrängt werden. Anderen Regionen und Orten steht hingegen ein noch wesentlich längerer Weg bevor. In Ratzeburg sei man laut Mark Sauer (Verein Miteinander Leben) inzwischen so weit, dass man sich auf Präventionsarbeit konzentrieren könne.
Weiter hätten sich die Voraussetzungen in den letzten Jahren geändert. „Vor zehn Jahren hatte man die Strukturen (der Rechten), die man irgendwie greifen konnte“, so Rainer Voß. Das sei nun weitaus schwieriger. „Ich hätte mir vor sechs Jahren nicht träumen lassen, dass wir jetzt einen gesellschaftlichen Wandel der Grundhaltung offenbart bekommen.“ Die Gesellschaft zeige sich in großen Teilen in Richtung rechts zu bewegen.
Die Netzwerkarbeit der Konferenz ist daher wichtiger denn je. Sie greift mit ihren Workshops stets aktuelle Themen auf und sorgt so für einen aktuellen Wissensstand der Akteure vor Ort. „Das gegenseitige Lernen ist ein wichtiger Aspekt.“ Dr. Daniel Trepsdorf (RAA Regionalzentrum für demokratische Kultur Westmecklenburg) ergänzt: „Drei Punkte sind wesentlich: 1. Vermitteln von Konzepten, 2. Selbstwirksamkeit erfahren und 3. Vernetzung.“ Der Präventionsaspekt sei sehr wichtig, denn menschenfeindliche Ansichten kämen nicht über Nacht. Es gehe laut Trepsdorf daher auch darum, Aussteigern aus der rechten Szene konkrete Angebote zu machen. „Wir wollen die Politik aber auch nicht aus der Verantwortung entlassen. Demokratie muss erfahrbar bleiben und benötigt eine Sozialraumstrategie“, so Trepsdorf weiter.
Besorgniserregend sei zudem die starke Überschneidung des rechten Flügels der AfD und rechtsextremen Verbindungen. Dazu Torsten Nagel (AWO Landesverband S.-H.): „Wir stehen aktuell vor einer großen gesellschaftlichen Aufgabe – die Herausforderung der Zukunft. Da dürfen wir nicht wegschauen!“
„Ab 1933 gingen viele Menschen, die gegen die Nazi-Diktatur waren, in den Untergrund. Wir können noch offen dastehen und unsere Meinung sagen“, erklärt Gesine Biller (Begleitausschussvorsitzende der PfD Ratzeburg/ Amt Lauenburgische Seen). Es reiche laut Mark Sauer aber nicht nur zu sagen ‚Wir sind viele‘. „Wichtig ist auch, dass viele Menschen gegen Menschenfeindlichkeit und rechte Tendenzen aktiv sind“, meint Sauer.
So sind mit der Konferenz und seinen Workshops nicht nur hauptamtliche und ehrenamtliche Bürgermeister sowie Kommunalpolitiker angesprochen. Sauer: „Die Veranstaltung richtet sich auch an alle Menschen, die meinen für unsere Demokratie mehr machen zu müssen als nur Kreuze bei den Wahlen.“ Vor Ort erhalte man praktische Tipps wie man sich engagieren kann, wie zum Beispiel was rechtlich bei der Anmeldung einer Demonstration zu beachten ist. Teilnehmer kann jeder ab 16 Jahren. Das Programm mit allen Workshops hier zum Download. Anmeldungen per Email an sauer@ratzeburg.de.