Rtzeburg/Lübeck/Cherson (pm). Große Freude bei allen Beteiligten. Der Spendenaufruf des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg von Anfang Dezember vergangenen Jahres erzielte die beabsichtigte Wirkung. Knapp 11.000 Euro spendeten Privatpersonen und ermöglichten so den Bau von unterirdischen Schulräumen in einem Bunker. Ökumene-Pastor Kai Feller besuchte das Projekt vor Ort.
Keine „normale“ Schule aber ein Stück Normalität
Laut aktuellen Zahlen gibt es in der Ukraine knapp vier Millionen schulpflichtige Kinder. Gleichzeitig sind frühere Schulgebäude, besonders in den am stärksten attackierten Gebieten, zerstört oder verlassen. An Präsenzunterricht ist nicht zu denken. Eine internationale Initiative möchte den Kindern im Kriegschaos jetzt ein Stück Normalität und Struktur zurückgeben. Mit Mut und unbürokratischem Engagement bauen der Kherson Volunteers Club, der Verein Fellas for Europe, der Entwicklungsdienst Nordkirche und der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg in einem Bunker in Cherson unterirdische Schulräume. Nach über zwei Jahren Pause soll hier ab März wieder Unterricht in Präsenz beginnen.
Kai Feller und Volodymyr Sahaydak, der Leiter des Zentrums, haben in den letzten Monaten häufig telefoniert und einige Nachrichten über Messenger-Dienste ausgetauscht. Anfang Januar 2025 trafen sie sich nun endlich persönlich im Kinderzentrum von Cherson. Das psychosoziale Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche ist vergleichbar mit einer Jugendhilfeeinrichtung. Die Kinder kommen aus schwierigen Verhältnissen, oft von überforderten Eltern, und sind im Schulalter. Hier werden sie normalerweise ganztägig oder für einen Teil des Tages betreut und, wenn nötig, finden sie eine dauerhafte Unterkunft.
Die aus Spenden finanzierten Klassenräume sind fast fertig
Zur Begrüßung des ausländischen Pastors gab es im unterirdischen Schutzraum eine kleine Feier mit selbstgebackenen Berlinern und Tee – und das mit gerade einmal zwölf anwesenden Kindern. Wenn die neuen Schulräume fertig sind, sollen hier täglich 270 Kinder betreut werden. Bei seinem Besuch überbrachte Kai Feller die gute Nachricht, dass das Spendenziel von fast 40.000 Euro erreicht wurde. Dank dieser Spenden laufen die Bauarbeiten im Untergeschoss bereits auf Hochtouren. Kai Feller berichtet: „Die drei geplanten Klassenräume sind fast fertig, für den Schulbetrieb fehlen nur noch Tische und Stühle. In den Schlafräumen und dem Aufenthaltsraum sieht es anders aus: Man steht hier noch auf sandigem Untergrund, die Räume sind voll mit Baumaterial und Rohre hängen von der Decke.“ Doch dank freiwilliger Helfer und Handwerkern – die in der Region rar sind – sollen diese Räume bis März ebenfalls fertig sein und Platz für 50 Kinder bieten. Damit die Räume normal wirken, muss noch die Raumhöhe vergrößert werden. Dafür tragen Bauarbeiter aktuell noch Teile des Fußbodens ab, dann müssen Wände verputzt und gestrichen werden.
Schwartauer Werke unterstützen mit Winterhilfe
Kai Feller überbrachte bei seinem Besuch in Cherson auch viele dringend benötigte Dinge, die er in Lübeck und im Herzogtum Lauenburg organisiert und zusammengetragen hatte. Dank der Unterstützung des Vereins Ratzeburg Hilft konnte medizinisches Material an ein Krankenhaus übergeben werden. Die Schwartauer Werke spendeten Proteinriegel, die sowohl der lokalen Bevölkerung als auch den Soldaten zugutekommen. Müsli und Lebkuchen für die Kinder wurden von der Lübecker Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt. Geflüchtete Ukrainerinnen aus Ratzeburg stellten eigenhändig zahlreiche Anzündhilfen aus Wachs und Baumwolle her. Für den Transport all dieser Spenden in die Ukraine stellte die Gemeinde Lauenburg dem Ökumene-Pastor einen Transporter zur Verfügung.
Sichtlich beeindruckt dankte Propst Philip Graffam dem Ökumene-Pastor bereits vor der Abreise für dessen Beitrag zur Ukraine-Hilfe: „Es erfordert viel Engagement und Mut, so etwas zu organisieren und umzusetzen. Ich danke Kai Feller und allen Unterstützerinnen und Unterstützern. Es ist beeindruckend, was wir gemeinsam erreichen können, und ich freue mich, dass die Spendengelder vor Ort so sinnvoll eingesetzt werden.“
Kein Kind wird abgewiesen
Schätzungen zufolge leben in Cherson derzeit noch etwa 4.000 Kinder und Jugendliche. Dreiviertel der ursprünglichen Bevölkerung verließ die Stadt, als die russische Armee 2022 die Kontrolle übernahm. Auf die Frage, warum trotzdem Menschen in der Stadt bleiben, erklärt Feller: „Menschen bleiben aus Heimatverbundenheit, weil sie sich um ältere Angehörige kümmern oder weil sie sich aus unterschiedlichen Gründen nicht zutrauen, woanders anzukommen.“
Mit den unterirdischen Schulräumen wird das Kinderzentrum voraussichtlich die erste Schule dieser Art in Cherson. Der Leiter, Volodymyr Sahaydak, nimmt jedes hilfsbedürftige Kind auf, solange die Kapazitäten es zulassen. Während seines Aufenthalts führte Feller, der ein wenig Ukrainisch spricht, auch Interviews mit einigen der Kinder sowie mit Volodymyr Sahaydak. Dabei ging es um Erlebnisse, die Mut machten, und um Zukunftspläne. Der Leiter hofft, dass die unterirdische Schule
den Kindern wieder ein Stück Normalität ermöglicht. Mit gleichaltrigen Zeit verbringen und neues lernen statt Verstecken vor den Drohnen. Zudem könne er sich vorstellen, den Sportplatz und das Basketballfeld zu renovieren, wenn es die finanzielle Situation und die Lage in der Stadt zulassen.
Die Kinder erinnern sich im Interview mit Kai Feller besonders an das Füttern der Katzen und eines Hundes auf dem Gelände. Die Tiere wurden dem Kinderzentrum von Menschen aus der Umgebung geschenkt.