Lübeck/Ratzeburg (pm). Die InnenministerInnen von Bund und Ländern beraten in dieser Woche in Brandenburg über weitere Schritte und Maßnahmen im Zuge der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Mit einem Offenen Brief protestieren Pro Asyl und die Landesflüchtlingsräte gegen geplante Verschärfungen und fordern ein menschenrechtsorientiertes Agieren in der Asylpolitik. Zu den insgesamt 309 Unterzeichnenden zählt auch der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg.
Offener Brief an Bund und Länder
„120 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Niemand flieht ohne Grund“, sagt Elisabeth Hartmann-Runge. Für die Flüchtlingsbeauftragte des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg dürfen Ausgrenzung, Auslagerung und Abschottung keinesfalls die Antwort sein. „Notwendig sind politische Lösungen, die auf der Wahrung der Grund- und Menschenrechte basieren. Ich erwarte, dass insbesondere deutsche PolitikerInnen sich der Verantwortung aus der Geschichte verpflichtet wissen und sich in ihren Entscheidungen wie auch in ihrer Rhetorik nicht von populistischen Erwägungen (ver-)leiten lassen“, bekräftigt die Seelsorgerin.
Eckpunkte der EU-Pläne
Im Juni 2023 hatten sich die EU-InnenministerInnen auf eine gemeinsame Position zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) geeinigt. Vorausgegangen waren jahrelange Verhandlungen der EU-Mitgliedsstaaten. Kernpunkt der Reform ist ein wirksamer Grenzschutz an den europäischen Außengrenzen. Dazu gehören einheitliche Standards für Registrierungen und Zuständigkeiten. Das gesamte Prüf- und Rückführungsverfahren soll maximal sechs Monate dauern. Einreisewillige sollen so früh wie möglich identifiziert werden. Dieses Grenzverfahren soll an der EU-Außengrenze stattfinden. Bis zur Entscheidung über die individuelle Aussicht auf Asyl will die EU die Geflüchteten in grenznahen Auffanglagern unterbringen. Hat eine Person keine Aussicht auf ein Bleiberecht in der EU, soll diese an der EU-Außengrenze abgewiesen werden und muss in ihre Heimat zurückkehren.
Die deutschen InnenministerInnen wollen jetzt über die nächsten Schritte beraten. Mit einem Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz und die Ministerpräsidenten der Bundesländer appellieren Pro Asyl, die Landesflüchtlingsräte und zahlreiche weitere Unterzeichnende, vom geplanten Vorhaben Abstand zu nehmen. „Menschlichkeit ist sowohl in Deutschland als auch in Europa die Basis unseres Zusammenlebens. Sie zu schützen ist unsere gesellschaftliche Pflicht. Dazu gehört auch: Die unbedingte Achtung der Menschenwürde. Sie steht aus gutem Grund seit 75 Jahren in unserem Grundgesetz und gilt für alle Menschen, egal woher sie kommen“, heißt es wörtlich in dem Schreiben.
Widerstand gegen geplante EU-Asylzentren
Die Initiatoren kritisieren die Pläne scharf, Flüchtlinge in außereuropäische Drittstaaten abzuschieben oder Asylverfahren außerhalb der EU durchzuführen. Diese würden nicht funktionieren, seien extrem teuer und würden eine Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit darstellen. Sie würden, heißt es in dem Offenen Brief, absehbar zu schweren Menschenrechtsverletzungen führen, wie pauschale Inhaftierung oder dazu, dass Menschen in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen menschenunwürdige Behandlung oder Verfolgung droht. Und: „Bei Geflüchteten lösen solche Vorhaben oft große Angst aus und erhöhen die Gefahr von Selbstverletzungen und Suiziden. Dies gilt gerade für besonders schutzbedürftige Geflüchtete wie Menschen mit Behinderung, Kinder, queere Menschen, Überlebende von Folter oder sexualisierter Gewalt.“
Präses Thomas: Ein gefährlicher Weg
Katrin Thomas, Präses der Synode des Kirchenkreises Lübeck-Lauenburg, findet klar Worte: „Die Gemeinschaft der EU-Mitgliedstaaten ist mit der Reform der Asylregelungen aus meiner Sicht auf einem gefährlichen Weg. Es wird auf den ersten Blick eine neue Richtung eingeschlagen, die scheinbar Lösungen vorhält, aber nach meinem Dafürhalten eine Vereinfachung zur Besänftigung zunehmend verbreiteter und geschürter Ängste darstellt.” Nach Ansicht von Katrin Thomas sollte man “nicht dem Irrglauben unterliegen, dass einfache Lösungen wie ‚Asylrecht an den Außengrenzen klären‘ für die Zukunft unserer Weltgemeinschaft besser sind, als unsere dem christlichen Glauben entsprechenden EU-internen Verfahren beizubehalten.”
Die Organisationen und Initiativen drängen darauf, Geflüchtete menschenwürdig aufzunehmen. „Wer Schutz bei uns in Deutschland sucht, soll ihn auch hier bekommen. Das Recht auf Asyl ist ein Menschenrecht“, heißt es von den Unterzeichnenden des Offenen Briefes. Und: „Bitte erteilen Sie Plänen zur Auslagerung von Asylverfahren eine klare Absage.“
Propst Graffam: Schwache und Bedürftige schützen
Für Philip Graffam, Propst im Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg, ist die Unterzeichnung des Offenen Briefes eine Selbstverständlichkeit: „Geflüchtete Menschen verdienen es, mit Würde und Respekt behandelt zu werden, unabhängig von ihrer Herkunft. Diese Position entspricht dem christlichen Gebot der Nächstenliebe und dem Schutz der Schwachen und Bedürftigen.“ Die Herausforderungen im Umgang mit geflüchteten Menschen würden konstruktive und realistische Lösungen erforderlich machen, die auf Solidarität und gemeinschaftlichem Handeln basieren. Arne Kutsche, stellvertretender Propst in Lübeck, ergänzt: „Uns Christinnen und Christen ist ein achtsamer und vor allem vorurteilsfreier Umgang mit Geflüchteten schon aufgrund unserer biblischen Traditionen ins Stammbuch geschrieben. In der Lehre Jesu findet sich ausdrücklich ein Schutzgebot auch für die Fremden.“
„Hilfesuchende nicht stigmatisieren”
Ulf Kassebaum, Leiter des Diakonischen Werks im Herzogtum Lauenburg, warnt: „Maßnahmen, die dazu beitragen, ein Klima von Aggression und Angst vor Ausgrenzung und Abschiebung zu verstärken, indem Hilfesuchende zu Schuldigen stigmatisiert werden, helfen uns nicht. Wenn wir die gesellschaftlichen Spannungen wirklich überwinden wollen, müssen wir unsere Integrationsbemühungen verstärken.“ Die sich abzeichnenden massiven Kürzungen bei Beratungsanboten und Projekten zur Förderung der Integration müssten gestoppt werden: „Lieber Mittel für den Erhalt der Integrationsangebote einsetzen, statt für teure Auffanglager an den Außengrenzen ausgeben“, fordert Kassebaum.