Mölln (tbi). Sie sind am Limit: Die Möllner Fachärztinnen und Fachärzte für Allgemeinmedizin („Hausärzte“) ziehen die Notbremse und schließen am Mittwoch ihre Praxen für Patienten. Erst einmal bis zum Jahresende, eine Verlängerung wird aber nicht ausgeschlossen.
Dabei geht es den Medizinerinnen und Medizinern nicht in erster Linie um sich selbst, sondern darum, auch künftig die medizinische Versorgung im ländlichen und kleinstädtischen Raum für die Menschen aufrecht erhalten zu können. „Eine flächendeckende und verfügbare ambulante hausärztliche Versorgung ist lebenswichtig und derzeit stark gefährdet“, heißt es auf einer Patienteninformation, die unter anderem in der Praxis von Dr. Karina Zühlsdorf ausliegt. Gemeinsam mit den Kolleginnen Dr. Renata von Breymann, Andrea Kruse und Franziska Nickel und Dr. Eckhard Zunker erläuterte Zühlsdorf in einem Pressegespräch die Hintergründe der Protestaktion.
Es beträfe alle hausärztlichen Praxen in Deutschland, aber hier in Mölln haben die Hausärzte jetzt die Initiative ergriffen, um die Politik zu fordern. „Ständig steigende Zahlen von Formularen, Versicherungs-, Ämter- und Krankenkassenanfragen sorgen für ärztliche Arbeitszeiten nach den eigentlichen Sprechstunden oft bis in die späten Abendstunden und am Wochenende“, so Karina Zühlsdorf. Viele Praxen von Medizinern, die in den Ruhestand gehen, können nicht wieder nachbesetzt werden, da es an Nachwuchs fehlt. Auch der Personalmangel und der Weggang von Medizinischen Fachangestellten sei ein massives Problem für die Praxen. Nach Berechnungen der Kassenärztlichen Vereinigung gebe es jetzt bereits zu wenig Hausarztpraxen in Mölln, und man könne eigentlich kaum noch neue Patienten annehmen.
Während die Abrechnungssätze für die Mediziner – wenn überhaupt – nur mäßig angehoben werden – nach Aussage von Dr. Eckard Zunker sind die Abrechnungssätze für Privatpatienten seit 30 Jahren unverändert -, steigen die Personalkosten durch Tarifabschlüsse. Und natürlich spüren auch Arztpraxen die inflationsbedingten Preisanstiege und die hohen Energiepreise. Die Bundespolitik würde, so die Beurteilung durch die anwesenden Mediziner, den niedergelassenen Ärzten immer mehr Aufwand aufbürden – auch, um Krankenhäuser zu entlasten. „Uns Hausärzte sieht der Bundesgesundheitsminister Lauterbach nicht“, sagt Renata von Breymann.
Immer mehr Dokumentationen, immer aufwendigere Schlüsselnummern und die Sorge vor Regressforderungen durch die Krankenkassen, wenn im Zusammenspiel zwischen Praxis, Pflegedienst oder auch Physiotherapie eine Diagnose zwar eindeutig ist, aber in der Verschlüsselung der Dokumentation nicht zu 100 Prozent korrekt sei. „Diese Sorge vor Regressforderungen, die auch emotional belastend ist, zwingt uns, Listen und Dokumentationen immer wieder zu kontrollieren und hält junge Kollegen davon ab, sich niederzulassen“, sagt Eckhard Zunker. „Die Politik unterstellt uns Ärzten kriminelles Fehlverhalten; wir fordern, dass diese Regressforderungen abgeschafft werden.“ So müssen die Mediziner verschriebene Medikamente ihrer Patienten auch aus eigener Tasche zahlen, wenn die Krankenkasse diese Arznei zurückweist.
Um den stetig steigenden Aufwand mit „Büroarbeit“ zu verdeutlichen, nennt Dr. Zunker die Corona-Impfungen. Jede Impfung müsse zweimal dokumentiert werden, auch die wievielte Schutzimpfung es gewesen sei, müsse gemeldet werden. „Die Idee zu der Protestaktion ist hier in Mölln im Kollegenkreis entstanden; wir möchten endlich von der Politik gehört werden und fordern bessere Bedingungen, um auch Nachwuchs finden zu können, der auch künftig die Menschen in unserer Region medizinisch versorgen kann“, so Dr. Karina Zühlsdorf.
Eckhard Zunker ist überzeugt, dass die Aufhebung der Praxisbudgets ein richtiger Schritt wäre: „Bekämen wir für gesetzlich Versicherte mehr Honorar, könnten wir mehr Medizinische Fachangestellte einstellen und bräuchten uns auch weniger Sorgen um den Hausärzte-Nachwuchs zu machen“.
Franziska Nickel hat ein plastisches Beispiel für die festgefahrene Honorarsituation: „Ein Tierarzt erhält für die Injektion bei einer Katze zwei Euro mehr, als wir Humanmediziner, wenn wir einem Patienten eine Spritze verabreichen müssen“. Ärztin Andrea Kruse sagt: „Es geht nicht darum, dass wir für uns mehr Geld haben, es geht darum, die Praxen stabil weiterführen zu können“. Dass jetzt diese Protestaktion nötig geworden ist, findet sie „schade, weil es eigentlich ein so schöner Beruf ist“.
Zehn reine Hausarztpraxen gebe es in Mölln, die sich nun an dem „Mittwochs-Protest“ beteiligen. Drei Praxen werden sich im Wechsel dann an diesen Tagen um die Patienten im Sinne einer Notfallversorgung kümmern, auf längere Wartezeiten muss man sich wohl einstellen. Welche Praxen am jeweiligen Mittwoch geöffnet haben, lässt sich durch eine Ansage auf dem Anrufbeantworter der gewohnten Hausarztpraxis erfahren oder im Aushang an der jeweiligen Praxistür.
„Wir und unsere jeweiligen Teams arbeiten natürlich dennoch; wir sind nicht alle mittwochs auf dem Golfplatz“, sagt Dr. Eckhard Zunker mit deutlichem Augenzwinkern. Die Mediziner und die Angestellten machen den Mittwoch nun zum Bürotag – dem „Bürokratie-Tag“-, um den enormen schriftlichen Aufwand während der Arbeitszeit bewältigen zu können.
Die Kassenärztliche Vereinigung steht hinter der Protest-Aktion und informiert auf ihrer Seite kvsh.de darüber, auch kann hier eine Online-Petition unterzeichnet werden. Die Möllner Hausärzte bitten auch um Unterstützung durch das Schreiben möglichst vieler Menschen der Region an die Bundestagsabgeordneten des Kreises Herzogtum Lauenburg. Einfach geht das auch über das Online-Portal praxenkollaps.info.
Nach den Worten von Karina Zühlsdorf sind die ersten Reaktionen von Patienten nach Ankündigung der Protest-Aktion in den Praxen durch Aushang positiv gewesen. „Viele können unseren Unmut verstehen“, sagt die Ärztin.