„Darf eine Demonstration nicht auch Spaß machen?“
Ein Interview mit Lübecks Pröpstin Petra Kallies zum CSD in Lübeck
Lübeck (bm). #bleibMUTIG ist das Motto des CSD 2023 in Lübeck. Der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg feiert mit. Pröpstin Petra Kallies ist es wichtig, Flagge zu zeigen. Ein Interview.
Die EKD, die Nordkirche, der Kirchenkreis und viele Gemeinden – alle engagieren sich für die LSBTIQ*-Community. Auch Sie als Pröpstin sind seit vielen Jahren beim CSD in Lübeck mit dabei. Warum ist Ihnen das wichtig?
Petra Kallies: Die Aufgabe von Religion ist es, Menschen Halt zu geben, gute Lebenswerte zu vermitteln und sie frei zu machen. Für die queere Community ist dies aber noch nicht erreicht. Ihre Lebenswirklichkeit ist häufig noch immer eine andere. Bis vor wenigen Jahren waren die meisten von ihnen gezwungen, faktisch ein Doppelleben zu führen, ihre Liebesbeziehung geheim zu halten, ständig Angst haben zu müssen, dass ihr Lebensentwurf irgendwie öffentlich wird und dass sie geächtet werden. Viele hatten und haben Angst, dass Kontakte in der Familie abgebrochen werden, manche Leute vielleicht sogar ihren Job verlieren. Und das ist für mich ein… Nein: Es ist der Grund, warum es mir so wichtig ist, an dieser Stelle deutlich Flagge zu zeigen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Eine Haltung, die aber nicht alle teilen…
Petra Kallies: Unsere Kirche hat hier eine klare Haltung, unterstützt und stärkt queere Menschen. Man muss aber auch sagen, dass Homosexualität derzeit ein Thema ist, das die Kirchen weltweit sehr kontrovers diskutieren. In einigen Kirchen bedroht sie sogar die innerkirchliche Gemeinschaft – zum Beispiel bei der methodistischen Kirche, die sich vermutlich jetzt aufspalten wird. Und auch bei uns Lutheranern wird in unterschiedlichen Ländern Homosexualität durchaus sehr unterschiedlich diskutiert. Die Frage nach Sexualität, nach Homosexualität, ist auch ganz stark eine kulturelle Frage. Hier geht es nicht nur um Theologie, sondern auch um heteronormative Strukturen. Lebensformen, die bei uns inzwischen weitestgehend auch in der Kirche akzeptiert und wertgeschätzt werden, die sind zum Beispiel in den Kirchen Afrikas absolut undenkbar.
Gern argumentieren Gegner der LSBTIQ*-Community mit geeigneten Bibel-Passagen. Was entgegnen Sie diesen Menschen?Petra Kallies: Ja, das stimmt. Gegner argumentieren mit geeigneten Bibelpassagen. Aber ich glaube, dieses Sich-gegenseitig-Bibelstellen-um-die Ohren-hauen, ist nicht zielführend. Die gleiche Debatte haben wir übrigens schon einmal vor gut 50 Jahren führen müssen, als es um die Ordination von Frauen ging. Es gibt Menschen, die verstehen die Bibel so, dass Gott einem biblischen Verfasser einfach in die Feder diktiert hat, was falsch und was richtig ist. Für diese Menschen ist die Bibel unmittelbar gesprochenes Wort Gottes, wobei das im Umkehrschluss auch bedeuten würde, dass Gott sich in manchen Themen selbst widerspräche.Aber wie ist die Bibel denn dann zu verstehen?
Petra Kallies: Meine persönliche Sicht und die der meisten Theologinnen und Theologen ist: Die Bibel ist von Menschen verfasst worden, die sich sehr viele Gedanken über Religion und Glauben gemacht haben. Von Menschen, die versucht haben, ihren Zeitgenossen gute Antworten an die Hand zu geben, und die ihnen helfen wollten, ein Leben im Glauben zu gestalten. Das bedeutet, dass die biblischen Autoren auch Kinder ihrer Zeit waren. In einer Gesellschaft, in der Homosexualität ein absolutes Tabu war, haben sie natürlich diese Grundsätze auch vertreten. Gleiches gilt übrigens auch für die Rolle der Frau, die damals überhaupt keine Rechte hatte, im öffentlichen Raum aufzutreten oder zu sprechen. Unterm Strich glaube ich, dass diese Debatte nicht zielführend ist, wenn das Bibelverständnis ein völlig unterschiedliches ist. Allein Bibelstellen für seine Argumente hervorzuzaubern, bringt uns nicht weiter.
In Hamburg waren beim CSD fast eine Viertelmillion Menschen auf den Straßen. Auch in Lübeck solidarisieren sich Jahr für Jahr mehr Menschen. Ist das Ziel der Community nicht eigentlich erreicht?
Petra Kallies: Nein, das glaube ich nicht. Das Ziel ist erst erreicht, wenn die gelebten Formen von Beziehungs- und Familienmodellen und von Sexualitäten gar kein gesellschaftliches Thema mehr sind. Was ich in den vergangenen 15 Jahren beobachte, ist eine deutlich größere, zunehmende Akzeptanz. Es freut mich, dass viele Leute bei der Demonstration bei der Parade mitlaufen, die nicht zur LSBTIQ*-Community gehören. Sie möchten damit zeigen, dass sie hinter der Community stehen. Dass es ihnen genauso wichtig ist, dass die sexuelle Identität, keinen Einfluss darauf haben darf, ob Menschen ein selbstbestimmtes Leben führen können oder nicht. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es leider immer wieder Fälle gibt, wo queere Paare verbal attackiert und körperlich angegriffen, bedroht und zusammengeschlagen werden. So lang sich dies nicht ändert, so lang sind die Demonstrationen nicht überflüssig. Und selbst wenn sich das Bild in Deutschland hoffentlich rasch ändern wird, so gibt es noch immer sehr viele andere Länder auf dieser Welt, in denen Homosexualität ein solches Tabu ist, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität inhaftiert, gefoltert und getötet werden – und so lang dies so ist, müssen wir weiter auf das Thema öffentlich, laut, bunt und politisch aufmerksam machen. In Lübeck, Deutschland und überall auf der Welt.
Sorgt Sie manchmal, dass der CSD zu sehr als Event anstatt als Demonstration verstanden werden könnte oder schließt das eine das andere nicht aus?
Petra Kallies: Gegenfrage: Darf eine Demonstration nicht auch Spaß machen? Warum dürfen die Menschen auf einer Demonstration nicht auch fröhlich sein? Vielleicht ist gerade die CSD-Parade ein Beispiel dafür, wie Demonstration auch sein könnten. Das Demonstrationsrecht in Deutschland ist ein unglaublich hohes und kostbares Gut. In der Regel gehen Bürger:innen auf die Straße, wenn sie gegen etwas sind – sehr ernsthaft mit Transparenten und Parolen. Beim CSD gehen Leute auf die Straße, ebenso ernsthaft, die FÜR etwas sind – für Gleichberechtigung und Akzeptanz. Das ist ein schönes, vor allem aber positives Bild.
Abgesehen von der grundsätzlichen Akzeptanz, welches sind die großen Themen für die LSBTIQ*-Community zukünftig?
Petra Kallies: Die nächste Frage wird sein, ob ein homosexuelles Paar eigentlich genauso gut Kinder aufziehen kann wie ein heterosexuelles Paar. Sind gleichgeschlechtliche Partnerschaften mehr und mehr akzeptiert, fehlt hier noch der große gesellschaftliche Konsens. Und tatsächlich gilt es auch, auf die besondere Rolle von Transmenschen hinzuweisen. Menschen, die sich im Transitionsprozess befinden, haben noch einmal mit ganz besonderen Schwierigkeiten umzugehen. Nicht nur sie selbst befinden sich in einem existenziellen Prozess, auch ihre Umwelt muss sich darauf einstellen, um diese Veränderung mitzugehen.
Welche Botschaft senden Sie als Pröpstin an für die LSBTIQ*-Community?
Petra Kallies: Wir werden in diesem Jahr zum zweiten Mal in St. Marien Spontan-Trauungen am CSD anbieten – und Segen für Menschen, die sich in einem Transitionsprozess befinden. Segen für Menschen, die merken, ich bin biologisch als Mädchen geboren, aber ich bin ein Junge oder umgekehrt. Es gibt Transmenschen, die sagen, „Als gläubiger Mensch weiß ich mich schon von Gott getragen, aber dieser Prozess der verlangt mir auch sehr viel ab. Dafür auch einen besonderen Segen zu bekommen, das würde mich sehr stärken.“ Also laden wir dazu in St. Marien ein. Aber auch Segnungen für jedes Paar, das kommt. Egal, ob zwei Männer oder zwei Frauen oder ein Mann und eine Frau oder ein nicht-binäres Paar. Ob frisch verliebt oder seit 50 Jahren zusammen. Unsere Botschaft ist: „Gott liebt uns Menschen, so wie Gott uns geschaffen hat. Und da ist es egal, ob Mann ob Frau ob homo ob trans ob hetero: Gott liebt dich so wie du bist – und so bist du uns auch in der Kirche herzlich willkommen.“