Wenn ich alte Zeitungen zum Altpapiercontainer bringe, tut es mir in der Seele weh. Als Journalistin ist es mir bewußt, dass es um quasi „Entsorgung“ – wie vom Restmüll oder Biomüll – von Gedanken, Analysen und überhaupt um Nachdenken vieler Menschen über die Sorgen und Probleme unserer Zeit geht. Um die Arbeit von zig-Tausenden Journalisten, die dafür Wochen wenn nicht Monate oder Jahre für ihren Texte recherchiert haben, manchmal brilliante Texte unter durchschnittlichen. Im Altpapierkontainer liegen auch tolle Fotos und Karikaturen – die Arbeit von noch zig-Tausenden Menschen. Zeitungen und Magazine kosten viel Geld, das „entsorge“ ich quasi mit…
„Eine Tageszeitung ist wie eine Eintagsfliege, ihr Leben ist zu kurz“, sagte mal ein Journalist mit dem gleichen Gefühl wie bei mir. Klar, irgendwo werden die Kopien aufbewahrt, sie sind im Prinzip zugänglich für jeden, der auch in alten Zeitungen etwas sucht. Aber sind es viele, die nochmal kluge Gedanken über unser komplexes menschliches Universum oder Vorschläge zu Problemlösungen nochmal wie in einem gutem Buch nachlesen wollen? Ich kenne in meiner Umgebung, unter gebildeten Menschen (!), auch solche, die Internet den Zeitungen vorziehen oder gar keine Zeitungen in die Hand nehmen. Wenn ich sage, dass ich mich von manchen Artikeln nicht lösen will – und es stapeln sich schon viele auf meinen Regalen-, sagte mir mal eine Frau: „Bloß weg damit!“ als ob da bei mir altes Gemüse vergammelt.
Ich vermisse einen Kasten mit Magazinen wie „Stern“, „Spiegel“ oder „Geo“ vor unserer Bibliothek neben dem Rathaus, wo jeder abgegebene Hefte nach Hause holen könnte und wieder zu Ansicht für anderen Menschen zurückbringen könnte. Abos kosten nicht wenig und so wäre das ein Ersparnis für Viel-Leser, für die Neugierigen in unseren Stadt. „Neugier ist ein Zeichen der Intelligenz“, sagt unser Bekannter Buchbinder, vor dessen Privathaus vor dem Eingang, ein Bücherschrank wie eine Schatztruhe steht. Daraus habe ich schon viele wertvolle Bücher mir rausgeholt, die alten Ausgaben von den besten deutschen, amerikanischen oder russischen Autoren. Diese Idee, Bücher für alle zur kostenlosen Abholung auf den Straßen, in alten unbrauchbaren Telefonzellen oder in Arztpraxen, in den Kirchen, wo es halt geht, anzubieten, fand viele „Follower“ in vielen Ländern der Welt.
Bücher sind die besten Freunde und es war nicht allein der französischer Schauspieler Depardieu, der mal sagte, dass Bücher ihm das Leben gerettet haben, als er in jungen Jahren den Kampf gegen Alkohol und Drogen fast verlor. Gute Bücher zur kostenlosen Abholung an den Schulen (zu Hause liest man oft anderes als das von den Lehrern Bestellte) – aber auch gute Zeitungs- und Magazinartikel von heute – könnten vielen jungen Menschen im Leben helfen. Das Leben in Coronazeiten ist z.Z. für alle schwieriger geworden, für zu viele unerträglich schwer sogar. Es entsteht, sagte ein Psychologe, eine „Corona Generation“, die große Nachteile im Leben bekommt, er meinte im Bildungsbereich, aber auch in anderen Bereichen des Lebens. Das Jugendwort des Jahres 2020 lautet „lost“. Sehr viele fühlen sich verloren, das Weltgefühl hat sich verändert. Die heutige Abiturienten stehen vor geschlossenen Türen. Früher waren alle Türen für sie offen und die Welt gehörte endlich ihnen. Heute haben humanitäre Krisen zugenommen, Klimawandel kommt mehr ins Bewußtsein als früher und Fridays for future hat die Jugend zum Glück politisiert. „Die Klima Liste“ tritt zur Bundestagswahl als politische Kraft auf.
Zu viele Ängste werden z.Z. unnötig von der Politik aber auch von den Medien produziert anstatt Zuversicht und Inspiration zu verbreiten. Die Hoffnung auf eine sozial-ökologische Transformation liefert paradoxerweise gerade die Coronakrise. Wegen des täglichen Bombardments im Radio mit Coronazahlen entsteht den Eindruck, man wolle Menschen lähmen, das Wunderwerk der Natur – das Hirn – abschalten oder beeinflussen, auf Englisch „to disturb human mental processes“. Das kann nicht bei allen gelingen, zu sehr lieben wir Menschen das selbständige Denken. „Die Zeit“ hat zum Beispiel am 7. Januar Werbung für das neue Magazin „Verbrechen“ plaziert. Man kann sogar mit Rabatt ein Abo bekommen. Manche Bürger wollen sich für „die Faszination des Bösen“ begeistern. Hoffentlich wird die Mehrheit das ablehnen und sich mit den Gedanken beschäftigen, wie wir Kriminalität durch Erziehung, Bildungs- und Arbeitschancen verringern können. Rabatte jeder Art sollen uns nicht verführen jeden Unsinn zu unterstützen und konstruktives, auf Lösungen gerichtetes Denken ausbremsen…
Vera Bade, Ratzeburg