Von Lothar Obst
Über Josef, den Ehemann Mariens und Ziehvater Jesu, besitzen wir nur sehr spärliche, originäre biblische Quellen. Seine Vorfahren sind Abraham, Isaak und Jakob, dann David und weiter Salomo. Nach dem Evangelisten Matthäus hieß Josefs Vater Jakob, nach Lukas war es Eli. Er stammt aus dem Geschlecht des Königs David. Da er dadurch wahrscheinlich über steuerpflichtigen Grundbesitz in Bethlehem verfügte, musste er nach der vom römischen Kaiser Augustus angeordneten und vom syrischen Statthalter in Judäa überwachten Steuerschätzung sich dort persönlich einfinden und somit den rund 180 Kilometer langen Weg von Nazareth in Galiläa zurücklegen, wofür man zirka zwölf bis vierzehn Tage benötigte. Bethlehem war ein Ort von vielleicht 500 Einwohnern, die in zumeist zweigeschossigen Häusern wohnten, unten das Vieh und im Obergeschoss die Familie; allerdings zirka zehn Kilometer südlich von Jerusalem am Schnittpunkt wichtiger Handelsstraßen gelegen. Eine stark frequentierte Karawanserei bildete die Herberge für die Händler.
Die Vermutungen zu Josefs Alter als er die wohl dreizehn- bis bestenfalls fünfzehnjährige Maria in sein Haus holte und sich so nach jüdischem Brauch mit ihr vermählte, bleiben ebenso Spekulation wie die mutmaßliche Rolle als Witwer, aus dessen erster Ehe die Söhne Jakobus, Joses, Judas und Simon stammen sollen, die nach den Evangelisten Matthäus und Lukas als die Brüder Jesu bezeichnet werden. Nach dem Besuch mit dem zwölfjährigen Jesus auf dem Passafest in Jerusalem und dem Heimweg nach Nazareth taucht Josef in allen vier Evangelien nicht mehr auf. Offensichtlich erlebt er das öffentliche Auftreten Jesu und dessen Verurteilung, Kreuzestod und Auferstehung in Jerusalem – anders als Maria – nicht mehr mit.
So wenig wir über Josef wissen – nicht sehr viel mehr als die weihnachtliche Geburtsgeschichte von Lukas und Matthäus mit der anschließenden Flucht nach Ägypten sowie der Rückkehr nach Galiläa, um ein Leben unter dem berüchtigten Herodessohn Archelaus in Judäa zu vermeiden – so interessant sind in der Bibelforschung die Aussagen zu seinem Beruf. Die Materialsammlungen zu den Evangelien werden ursprünglich wahrscheinlich in Hebräisch angelegt worden sein. Jesus sprach Aramäisch. Niedergeschrieben wurden sie schließlich auf Griechisch. Darin wird der Beruf des „Zimmermanns“ mit dem griechischen Wort „tekton“ bezeichnet, was jedoch keine ausschließlich holzverarbeitende Tätigkeit beinhaltet, sondern eben auch so viel wie Baumeister oder Architekt bedeutet, keineswegs aber beschränkt ist auf einen Zimmermann oder Tischler. Als im 4. Jahrhundert Hieronymus die Vulgata schuf, die Bibelübersetzung vom Griechischen ins Lateinische, wählt er für das griechische „tekton“ das lateinische „faber“ und meint damit einen mit verschiedenen Stoffen wie Holz, Stein, Marmor oder Mörtel arbeitenden Handwerker, so eben auch einen Steinmetz. Dieser „faber“ schleift sich für mehr als ein Jahrtausend zu „fabbro“ ab – und das bedeutet nichts anderes als „Schmied“. Aus dem Handwerker oder Baumeister Josef wird jetzt ein Schmied, und so wird es auch gelehrt und gepredigt.
Bis Ende des 13. Jahrhunderts Thomas von Aquin die griechischen Originaltexte studiert und den sprachlichen Übersetzungsirrtum korrigiert. Aus dem Schmied Josef wird wieder der Zimmermann oder Holzhandwerker Josef. Martin Luther bleibt bei seiner 1522 erschienenen Übersetzung beim „Zimmermann“.
Nun kann man die unterschiedlichen sprachlichen Berufsbezeichnungen nicht ohne den historischen Hintergrund verstehen. In Galiläa baute man keine Häuser aus Holz, sondern aus Stein. Sehr wahrscheinlich fand Josef mit seiner Werkstatt viel Arbeit beim Wiederaufbau der rund zehn Kilometer von Nazareth entfernten Stadt Sepphoris, die bei einem Aufstand nach dem Tod von König Herodes dem Großen im Jahr 4 v. Chr. vollständig von römischen Truppen zerstört worden war. Statthalter der römischen Provinz Syrien war zu dieser Zeit Publius Quinctilius Varus, den wir im Jahr 9 n. Chr. in der sogenannten „Schlacht im Teutoburger Wald“ gegen Arminius wiedertreffen. Josef wird also überwiegend in Stein gearbeitet haben, ohne damit ein „Steinmetz“ im klassisch verstandenen Sinne gewesen zu sein.
Im Europa des Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert bzw. Martin Luthers im 16. Jahrhundert war der für den Hausbau vornehmlich verwendete Rohstoff das Holz der heimischen Wälder. Folglich wird auch die Wortbedeutung „Zimmermann“ plausibel, ohne dass wir damit dies mit dem heutigen Berufsbild gleichsetzen könnten.
Heute feiern wir den Namenstag des hl. Josef am 19. März – und auch dies ist wieder ein Beispiel für die Geschichte der römisch-christlichen Transformation: Begehen wir Weihnachten am 25. Dezember, dem ursprünglichen Feiertag für den unbesiegten römischen Sonnengott Sol invictus, so war der 19. März nach dem römischen Kalender das Fest der Minerva, der Göttin der Handwerker.