Ratzeburg (pm/aa). Heike und Hartwig Fischer aus Ratzeburg veröffentlichten jüngst ihr Buch „25 Jahre grenzenlos – Weltgeschichte vor der Haustür“. Die Buchpräsentation für die Öffentlichkeit erfolgt am Sonnabend, 8. November, um 10 Uhr im „Grenzhus-Museum“ im mecklenburgischen Schlagsdorf. Im Anschluss an die Buchvorstellung erfolgt eine Diskussionsrunde mit Zeitzeugen der Grenzöffnung.
25 Jahre nach dem überraschenden Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 und der Öffnung der innerdeutschen Grenze sind von den einst tödlichen Grenzsperranlagen der DDR mit den Metallgitterzäunen, Panzersperren, Wachtürmen und Kolonnenwegen nur noch wenige Relikte erhalten. In der Euphorie der Grenzöffnung und der Wiedervereinigung Deutschlands am 3. Oktober 1990 sind fast alle Elemente der Grenzanlagen abgebaut worden, so dass nur noch Zeitzeugen Auskunft über Details der Grenze geben können.
„Wir saßen am Abend des 9. November 1989 atemlos vor dem Fernseher. Es war sehr beeindruckend und wahrscheinlich der schönste Fehler, den ein Politiker je gemacht hat“, erklärt Hartwig Fischer bezüglich des Versehens des damaligen SED-Poltikers Günter Schabowski, der die „unverzügliche“ Öffnung der Grenzen in die Mikrofone der Journalisten stammelte. Danach gab es für die Bürger der DDR kein Halten mehr und auch die Menschen im Herzogtum Lauenburg strömten zu den Grenzübergängen, um die lang vermissten Nachbarn aus dem Mecklenburgischen zu begrüßen. Lokalredakteurin Heike Fischer war mit ihrer Kamera stets dabei und hielt die Bilder fest, die noch heute zutiefst bewegend sind. In dem Buch, dessen erste Auflage auf 500 Exemplare limitiert ist, kann jeder ein Stück ihres Fotoarchivs mit nach Hause nehmen.
Unter der Thematik „Gegen das Vergessen“ zeigt die Fotodokumentation an zahlreichen Beispielen, wie die DDR-Grenzsperranlagen zwischen dem Landkreis Nordwestmecklenburg und dem Kreis Herzogtum Lauenburg ausgesehen haben. Die Autoren schildern ferner anhand von zahlreichen Bildern, mit welcher unbeschreiblichen Begeisterung die Bevölkerung im Lauenburgischen und Mecklenburgischen die Öffnung der Grenzen in Mustin/Ratzeburg – Roggendorf, Wietingsbek – Schlagbrügge/Schlagsdorf, Marienstedt – Zarrentin, Sophiental – Zarrentin, Rosenhagen – Dutzow sowie in Rothenhusen – Utecht begrüßt hat. Kein Zeitzeuge der Grenzöffnungen wird je in seinem Leben diese Ereignisse vergessen, als sich Weltgeschichte unmittelbar vor der Haustür abspielte.
Die Fotodokumentation belegt exemplarisch, wie Häuser und Gehöfte in unmittelbarer Nähe der innerdeutschen Grenze durch die DDR-Behörden dem Erdboden gleich gemacht oder Sichtsperren in Form von Zäunen und Mauern wie in Dutzow errichtet wurden, um einen Kontakt der Bürger zwischen Ost und West zu unterbinden. Gleichzeitig wird auf die Zwangsaussiedlungen von systemkritischen DDR-Bürgern aus der 5-Kilometer-Sperrzone eingegangen. Bei diesen Aktionen unter den Namen „Ungeziefer“ und „Kornblume“ wurde den betroffenen Bürgern unendliches Leid zugefügt, denn sie wurden ohne irgendeine Vorankündigung innerhalb von wenigen Stunden in das Innere der DDR zwangsumgesiedelt und dort von der Staatssicherheit mit dem Stigma der politischen Unzuverlässigkeit belegt. Viele dieser Familien leiden noch heute unter diesem Trauma, denn vielfach ist ihnen die Sozialisation in ihre neue Gemeinschaft nicht gelungen.
Unter der Thematik „Damals – Heute“ verdeutlichen die Autoren mit vergleichenden Bildern, wie markante Grenzpunkte zwischen dem Lauenburgischen und Mecklenburgischen vor 25 Jahren ausgesehen haben und wie stark sich die Landschaft bis heute verändert hat. „Sie finden heute manche Stellen teilweise gar nicht wieder“, beschreibt Heike Fischer die Schwierigkeit Anno 2014 die gleiche Fotoperspektive eines Bildes von 1989 wiederzuentdecken.
Der historische Hintergrund zur Teilung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg bis zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 ist in verschiedenen Kapiteln zur Erläuterung der Ereignisse in die Bilddokumentation eingebettet. Der Leser erhält wichtige Informationen zum Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 und zu Ulbrichts berühmten Satz „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“. Die Autoren erläutern den Schießbefehl für die DDR-Grenzsoldaten und schildern unter der Überschrift „Schabowskis Zettel“ wichtige Hintergründe zur legendären Pressekonferenz des SED-Politbüromitglieds Schabowski am 9. November 1989 und zur historischen abendlichen Tagesschau-Sendung des Moderators H.-J. Friedrichs. Ferner gehen die Verfasser auf den 9. November als „Schicksalstag der Deutschen Geschichte“ ein und erklären, warum nicht dieser Tag, sondern der 3. Oktober als Nationalfeiertag gewählt wurde. Die wichtige Rolle des sowjetischen KP-Chefs Michail Gorbatschow mit seiner Politik von „Glasnost“ und „Perestroika“ wird ebenso dargestellt wie der Mut vieler DDR-Bürger, sich mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ gegen das diktatorische SED-System aufzulehnen. Ein weiteres Kapitel zeigt auf, wie stark der Wunsch nach der Einhaltung von Grundrechten wie Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit und Reisefreiheit in der Bevölkerung verankert ist. Die Verfasser verdeutlichen, dass ein politisches System, in dem die Gewaltenteilung nicht praktiziert wird und in dem Andersdenkende politisch kriminalisiert werden, die Identifikation mit dem vorherrschenden Wertesystem in der Bevölkerung verliert und zum Scheitern verurteilt ist.
Die Autoren möchten mit ihrer Fotodokumentation einen Beitrag zur deutschen Zeitgeschichte insbesondere für die Region vom Kreis Herzogtum Lauenburg und Nordwestmecklenburg leisten und – nicht nur für die jüngere Generation, die die monströsen Grenzanlagen nicht aus eigener Anschauung kennt – einen tiefen Einblick in authentisches Geschichtswissen vermitteln.