Lübeck/Travemünde (pm). Ungewohnte und wohltuende Töne: „Nach mehr als 15 Jahren können wir in Deutschland endlich wieder über Wirtschaftswachstum, Sicherheit und die Bundeswehr sprechen. Viel zu lange waren das ein No Go oder ein Tabu“, sagte Professor Dr. Thomas Straubhaar in der Veranstaltung „Wachstum & Resilienz: Rezepte für erfolgreiches Wirtschaften in einer dynamischen Weltordnung“ auf der Travemünder Woche. „Resilienz ist ein Modebegriff: Er bedeutet Anpassung an neue Gegebenheiten.“ In Deutschland habe es aktuell deutliche Veränderungen gegeben. „Wie hätten Sie in den vergangenen Monaten mehr Geld verdienen können, als auf Deutschland zu setzen? Der Deutsche Aktienindex hat seit Jahresbeginn um 20 Prozent zugelegt, der Dow Jones in den USA dagegen nur zehn Prozent.“ Die Lage sei demnach viel besser als die Stimmung. „Es geht jetzt darum, die Stimmung der Lage anzupassen“, sagte Straubhaar.
Rund 120 Gäste waren der gemeinsamen Einladung von IHK zu Lübeck und Hansebelt-Verein zum „HanseBelt Summer Lunch meets IHK-Fokus Wirtschaft“ ins Slow Down Hotel gefolgt. Straubhaar, international renommierter Wirtschaftsexperte, und Professor Dr. Arno Probst, Partner der Deloitte GmbH und Mitglied der IHK-Vollversammlung, diskutierten mit Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik darüber, wie die Wirtschaft sich konkret an die Herausforderungen durch die geopolitischen Veränderungen und Krisen anpassen kann. Der Hansebelt-Vorsitzende Arndt Schanze hatte es bereits in seiner Begrüßung auf den Punkt gebracht: „Für mich heißt Resilienz: Verantwortung trifft auf Herausforderung. Der beste Zeitpunkt, sich damit zu beschäftigen, ist jetzt.“
Für ihn gehe es Resilienz immer um Krisenresilienz, betonte Professor Dr. André Röhl von der NBS Northern Business School in Hamburg. Seine Leitfragen: „Wie kann sich ein Unternehmen auf Betriebsunterbrechungen vorbereiten und die verhindern?“ und „Bin ich vorbereitet, die richtigen Entscheidungen zu treffen?“ Leider seien rund 60 Prozent der Unternehmen in Deutschland hier noch nicht gut aufgestellt. Das Thema Sicherheit habe an aber Bedeutung gewonnen, denn die Cyber-Bedrohung sei gestiegen und die geografische Lage habe sich verändert. „Dabei ist die physische Sicherheit über die Hintertür reingekommen: Es nützt nichts, über Cyber-Security zu sprechen, wenn mir einer den Rechner klaut“, sagte er.
Wesentlich für Resilienz seien eine offene Kommunikation zwischen Führung und Belegschaft sowie auch die Vielfalt, betonte Melanie Karmann-Holt, Kommunikationschefin der Lübecker Drägerwerk AG & Co. KGaA. „Unsere große internationale Aufstellung und Vielfalt sind Faktoren, die uns zugutekommen.“ Ebenso vielfältig seien mögliche Krisen. Der Konzern habe Regionen mit schwierigen oder guten Zeiten. „Daher können nicht jede einzelne Situation vorbereiten. Medizin- und Sicherheitstechnik sind sehr gefragt, das trägt zu unserer Resilienz bei. Zudem haben wir kein Produkt, das mehr als zwei Prozent unseres Umsatzes ausmacht, und keinen Lieferanten, der uns gefährden kann.“
Dem stimmte Bettina Wache-Möhle, Geschäftsführerin der Lübecker Wache GmbH, zu: eine Krise oder ihre Bewältigung ließen sich nicht vorplanen, eine Beurteilung sei in der Regel nur rückblickend möglich. „Niemand konnte sich die Auswirkungen eines quer stehenden Schiffs im Suezkanal ausmalen“, betonte sie. Wichtig seien daher Agilität und Kommunikation sowie die Bereitschaft zur Verantwortung. Der Vorteil eines familiengeführten mittelständischen Unternehmens sei: „Wir kennen uns und haben einen gemeinsam Wertekanon. Vielleicht sind wir nicht immer einer Meinung, verfolgen aber ein Ziel. Für uns ist Nachhaltigkeit keine Modeerscheinung, als Familienunternehmen denken wir in Generationen.“ Nachdem sie in die Geschäftsführung des auf Feinwerktechnik spezialisierten Betriebes eingestiegen war, musste sie viel lernen über Technik und darüber, „was Ingenieurskunst und Unternehmertum bedeuten – denn das sind die Stärken Deutschlands“.
Auf die Frage nach Möglichkeiten zur Verbesserung der Stimmung sagte Rasmus Vöge, Mitglied des Schleswig-Holsteinischen Landtags: „Bei meinen Gesprächen mit Unternehmern höre ich immer wieder, die Überregulierung unseres gesamten Wirtschaftslebens und vieler anderer Bereiche ist der Strick um den Hals unseres Landes. Wenn ich ins europäische Ausland schaue, ist es aber anders. Dort geht es mit derselben europäischen Regelung schneller.“ Als Beispiel nannte er den Hafenausbau in den Niederlanden. „Unsere Politik muss mutiger werden. Dann können wir die Tatkraft der deutschen Wirtschaft wieder steigern.“
Dem stimmte Tim Klüssendorf, Mitglied des Deutschen Bundestags und SPD-Generalsekretär, zu: „Wir müssen davon wegkommen, uns gegenseitig zu schlecht zu reden. In den vergangenen Jahren sind wir gut durch viele Krisen gekommen. Jetzt müssen wir unseren Wohlstand erhalten, das geht durch Resilienz.“ Die Politik müsse handeln und vieles auf den Weg bringen, das in der vergangenen Legislatur liegengeblieben ist. Er stamme aus einer alten Lübecker Handwerksfamilie und wisse, „dass Marktwirtschaft funktionieren muss. Wir haben aber an vielen Stellen die Schrauben überdreht.“