Ratzeburg (tbi). Da hatte sich die Stadt Ratzeburg für den Mittwochabend, 12. Juni ein sportliches Ziel gesetzt: Eine Einwohnerversammlung für die Bürgerinnen und Bürger der Inselstadt und eine sich unmittelbar anschließende Runde „offener Bürgerdialog“ für alle Interessierten unter Beteiligung von Landespolitikern.
Es sei eine „beeindruckende Kulisse“ sagte Ratzeburgs Stadtpräsident Andreas von Gropper zur Begrüßung angesichts der etwa 160 Menschen, die in die Aula der Lauenburgischen Gelehrtenschule gekommen waren. Christian Nimtz, Wehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Ratzeburg, hatte passenderweise die Karte mit der Nummer 112 in der Hand, die ihn als Einwohner Ratzeburgs zur Stimmabgabe berechtigte. 112 Bürgerinnen und Bürger hatten nach Vorzeigen ihres Ausweises die Möglichkeit, sich mit den grünen Karten an den Abstimmungen – zum Beispiel zur Ergänzung der Tagesordnung – zu beteiligen.
Bürgermeister Eckhard Graf nannte als wichtigstes Thema der Stadt die städtebauliche Entwicklung und bot an, jederzeit nach kurzer Terminabsprache für Gespräche im Rathaus zur Verfügung zu stehen. Michael Wolf, Fachbereichsleiter Bauen und Liegenschaften der Stadt, stellte ausführlich den aktuellen Stand der Baufortschritte und Planungen vor. Christian Nimtz sprach – das entsprach auch einer Bitte aus dem Publikum – über die Katastrophenschutzmaßnahmen im Stadtgebiet und verwies darauf, dass auf der Internetseite der Stadt (www.ratzeburg.de) in Kürze Informationen dazu erscheinen werden. Auf Initiative des Jugendbeirates beschloss die Versammlung, das Thema „Freilichtbühne“ im Bäker Gehölz auf die Tagesordnung zu setzen. Paul Tessmer vom Jugendbeirat stellte die Problematik professionell vor. Das Gelände sei derzeit baulich für Veranstaltungen ungeeignet, könnte aber durch Initiative von Jugendlichen und mit Unterstützung durch die Stadt wieder zu einem attraktiven Freizeitort werden. Die Versammlung stimmte mehrheitlich zu, dass die städtischen Ausschüsse sich mit dem Thema befassen sollen.
Statt der ursprünglich angedachten knappen Stunde für die Einwohnerversammlung dauerte es fast zwei Stunden bis alle Fragen der mit Rederecht ausgewiesenen Anwesenden beantwortet waren. Eine Einwohnerversammlung sei kein Muss, aber sie könne stattfinden, resümierte Andreas von Gropper. „Es ist ein Element der demokratischen Bürgerbeteiligung“, so der Stadtpräsident.
Im direkten Anschluss an die Einwohnerversammlung bot die Inselstadt die Gelegenheit zu einem offenen Bürgerdialog. Im Gegensatz zur vorangegangenen Veranstaltung hatten hier alle Anwesenden Rederecht. Auch drei Mitglieder des Kieler Landtages waren dafür nach Ratzeburg gekommen.
„Was bewegt uns, was bewegt Sie?“ lauteten die Eingangsfragen von Moderator Jens Westen. Auch durch den Wunsch zum Dialog der Gruppe „Ratzeburg Mitte“, die seit Monaten montags vor dem Ratzeburger Rathaus für eine andere Politik demonstriert, habe die Stadt diesen Bürgerdialog erstmalig ins Leben gerufen. Stadtpräsident Andreas von Gropper und Bürgermeister Eckhard Graf nahmen gemeinsam mit den Landtagsabgeordneten Rasmus Vöge (CDU), Oliver Brandt (Bündnis 90/Die Grünen) und Sophia Schiebe (SPD) auf dem Podium Platz. Zu den Themen, die aus dem Publikum kamen, gehörten die Bedingungen von Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen, also sichtbaren und nicht sichtbaren Behinderungen. Es wurde auch bemängelt, dass in der Stadt Cafés fehlen würden und „zwanglose“ Treffpunkte für ältere Menschen. Aus Richtung der Gruppe „Ratzeburg Mitte“ kam die Frage an Bürgermeister Graf, ob Demokratie für ihn wichtig sei und was diese für ihn bedeute. Eckhard Graf bejahte erwartungsgemäß die Frage und sprach über die Entwicklung seines demokratischen Selbstverständnisses. „Demokratie ist der Grundstein meines Handelns“, so der Bürgermeister. Alle Menschen seien eingeladen, sich aktiv an Prozessen der Meinungsbildung zu beteiligen, natürlich auch die sogenannten „Montagsdemonstranten“.
Im Verlauf des insgesamt knapp 90-minütigen Dialoges gab es sowohl vom Podium als auch aus dem Publikum heraus immer wieder Einladungen an die Gruppe der Demonstranten zu weiteren Gesprächen und zur Mitarbeit in Gremien. Wiederholt kam es zu unterschiedlichen Auffassungen von Zuständigkeiten bei politischen Themen. Bürgermeister Eckhard Graf: „Natürlich bin ich ansprechbar; ich laufe nur nicht allen hinterher. Ihre Themen haben kaum kommunalpolitische Ansätze. Wenn Sie fordern ´die Ampel muss weg!´ kann ich Ihnen im Ratzeburger Rathaus nicht helfen“.
Die Landtagsabgeordneten boten der Gruppe immer wieder Gespräche an und luden zur Mitarbeit ein. „Parteien sind Mitmach-Vereine“, so Rasmus Vöge, der auch Kreisvorsitzender der CDU im Herzogtum Lauenburg ist.
Zugehörige oder Sympathisanten von „Ratzeburg Mitte“ versuchten mehrfach, Themen wie „Inflation“ und „Altersarmut“ auf die kommunale Ebene zu ziehen. „Das ganze System ist in einer Schieflage, das muss geändert werden!“, hieß es unter anderem. Wenn es auch in Ratzeburg Familien gebe, bei denen „am Ende des Geldes noch viel Monat übrig“ sei, wäre es eben doch ein kommunales Thema für den Bürgermeister hier, so ein Wortführer der Gruppe. Wenn Familien oder auch Unternehmen in Ratzeburg von Krisen betroffen seien, müsse der Bürgermeister hier tätig werden und Neuwahlen anstreben, lautete eine weitere Forderung.
Von Seiten des Podiums wurde mehrfach daran erinnert, dass es für die politische Arbeit in einer Demokratie erforderlich ist, Mehrheiten zu finden. Es gab fortwährend die Angebote, im Gespräch zu bleiben und Einladungen zur Mitarbeit. Diese gab es auch aus dem Publikum mit Einladungen, gemeinsam Ausschusssitzungen zu besuchen oder sich zum Beispiel bei der AWO mit zu engagieren oder in eine Partei einzutreten. Eine Sprecherin der Gruppe lud ein: „Wir sind definitiv nicht aggressiv. Kommen Sie montags zu uns vor das Rathaus!“.
Nach insgesamt über drei Stunden in der Aula lichteten sich zusehends die Reihen der Gäste, sodass Moderator Jens Westen und Stadtpräsident Andreas von Gropper mit Dank an die Teilnehmenden die Veranstaltung schließen konnten.