Sandesneben (sn). Der 23. Mai stand in der Gemeinschaftsschule Sandesneben ganz im Zeichen der Demokratie. 75 Jahre Grundgesetz galt es zu feiern. Von der Grundschule bis zum Abitur-Jahrgang beschäftigten sich alle Klassen mit dem Thema und somit mit all dem, was unsere Demokratie so einzigartig macht. Je nach Altersstufe standen unterschiedliche Aspekte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland auf dem Stundenplan. Während in der Grundschule unter anderen die Kinderrechte im Mittelpunkt standen, lag der Schwerpunkt bei den älteren SchülerInnen bei den Grundrechten wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und dem Wahlrecht.
Passend zur Wahl des Europäischen Parlaments am 9. Juni hatte der WiPo-Kurs (Wirtschaft und Politik) aus Jahrgang 12 gemeinsam mit Lehrerin Vivien Pracejus eine Podiumsdiskussion organisiert. Mit Unterstützung der beiden Moderatoren Lennard Wulkow und Tyler Klasing aus dem WiPo-Kurs stellten sich Tim Klüssendorf (SPD), Katharina Kewitz (Bündnis 90 – Die Grünen), Antje Nettelbeck (Volt), Jan Frederik Schlie (CDU) und Arnulf Fröhlich (AfD) den Fragen der Schülerschaft aus den Jahrgängen 8 bis 13.
Fünf Schwerpunkte hatten sich die Organisatoren überlegt und schon in der ersten Runde zum Thema „Flucht und Migration“ ging‘s gleich zur Sache. Katharina Kewitz, die Vertreterin der Grünen, erntete viel zustimmendes Nicken mit ihrer Aussage, dass ein Europa, das sich Menschlichkeit und Offenheit auf die Fahnen schreibt, das auch an den EU-Außengrenzen machen müsse. Auch Antje Nettelbeck von Volt hielt die Flüchtlingslager an den EU-Außengrenzen nicht für zielführend, während CDU-Mann Jan Frederik Schlie betonte, dass Deutschland eine internationale Verpflichtung hätte, Flüchtlinge aufzunehmen, seine Partei aber „irreguläre Migration“ beenden wolle. Indes bevorzugt die SPD laut Tim Klüssendorf eine gemeinsame europäische Regelung. Die Behauptung des AfD-Vertreters Arnulf Fröhlich, dass ukrainische Flüchtlinge nun mit dem Flixbus Urlaub in der Heimat machten, löste im Publikum Befremden aus, zumal viele ukrainische SchülerInnen gut integriert an der Veranstaltung teilnahmen.
Die Organisatoren hatten ferner das Themenfeld „Ende des Ukraine-Krieges und Aufnahme der Ukraine in die EU“ auf der Liste. Auch hier zeigten sich die unterschiedlichen Positionen der Parteien, die für das Europäische Parlament kandidieren. Von der Schaffung eines eigenen EU-Verteidigungsministeriums (CDU) über die Verteidigung der Demokratie gegen die russische Autokratie (Grüne, SPD und Volt) bis hin zur Aufforderung zum Gespräch mit Russland und einer Rechtfertigung des russischen Angriffskrieges gegen „faschistische ukrainische Soldaten“ (AfD) – eine Äußerung, die im Publikum der zertifizierten Schule „gegen Rassismus und für Courage“ deutlichen Widerspruch erntete. In dem Zusammenhang wurden auch der aktuellen Bestechungsskandale bei den AfD-Spitzenkandidaten für die Europawahl angesprochen: Russische und chinesische Geldgeber sollen diese deutschen Politiker für ihre Zwecke instrumentalisiert haben. Der AfD-Vertreter Fröhlich betonte an dieser Stelle die Unschuldsvermutung, die bis zu einem Gerichtsurteil für die Beschuldigten gelte. Tim Klüssendorf von der SPD erklärte, dass die russischen Cyber-Angriffe und die Unterstützung der russischen Position von AfD-Bots in den Sozialen Medien bereits als Kriegshandlungen in Deutschland zu werten seien. Auch CDU-Politiker Jan Frederik Schlie reihte sich bei den AfD-Kritikern ein: „Wer auf so komplexe Fragen nur einfache Antworten hat, entlarvt sich selbst.“ „Die vielen Falschinformationen, die gerade von Rechts kommen, sind nicht die Lösung!“, unterstützte die Grüne Politikerin Katharina Kewitz die gemeinsame Position gegen Rechts.
Auch beim Thema „Busanbindungen auf dem Land“ wurde kontrovers diskutiert. Während die SPD das Deutschlandticket und seine Auswirkungen für den Bus- und Bahnverkehr in Deutschland lobte, gaben die Grünen den hohen Preis (49 € pro Monat) zu bedenken, der vor allem für größere Familien nur schwer zu bezahlen sei, wenn es keine Kostenübernahme für die Schülerfahrkarten gäbe. Auch hier polarisierte AfD-Politiker Fröhlich mit einer Geschichte aus dem Stormarner Landtag: Als es möglich war einen SPD-Antrag zur Nutzung der Ioki-„Taxis“ mit den Stimmen der AfD im Kreistag zu beschließen, hätten die Sozialdemokraten lieber ihren eigenen Antrag zurückgezogen, statt ihn mit Hilfe der AfD durchzubringen. SPD-Mann Klüssendorf erklärte dies daraufhin damit, dass man sich in den Parlamenten darauf geeinigt hätte, dass man der AfD nicht die Möglichkeit geben wollte, sich als Zünglein an der Waage zu präsentieren. – Was erst beim anschließenden Faktencheck offenbar wurde, war der Umstand, dass sich anschließend alle anderen Parteien auf einen gemeinsamen Antrag zur selben Sache verständigen konnten und dieser Antrag dann ohne Unterstützung der AfD beschlossen wurde.
Der Schlagabtausch ging auch bei den anschließenden Themen „Inflation“ und „ökologische Landwirtschaft“ weiter. Und nach einer Stunde in der Wahl-Arena endete ein spannendes Diskussionsformat, bei dem die PolitikerInnen ihre Positionen präsentieren konnten und sich den Fragen der Schülerschaft stellten.
„Ich bin stolz darauf, dass unsere Schule einen Beitrag zur politischen Bildung leistet und unsere Jugendlichen dazu ermutigt, ihre Stimme zu erheben. Das Projekt hat nicht nur politisches Wissen vermittelt, sondern auch die Begeisterung für Demokratie und politische Teilhabe gestärkt. Das ist in der heutigen Zeit etwas sehr wichtiges!“, erklärte WiPo-Lehrerin Vivien Pracejus mit Blick auf die rege Beteiligung bei der Podiumsdiskussion und die große Hingabe, mit der ihre Zwölftklässler die Podiumsdiskussion und den „Tag des Grundgesetzes“ für die ganze Schule vorbereitet hatten. Der Appell an alle Erstwähler, sich in den kommenden Wochen an der Junior-Wahl in der Schule und vor allem am 9. Juni an der Europawahl zu beteiligen, beendete schließlich die Veranstaltung in der Amtsarena in Sandesneben.
Text: Durmis Özen Palma