Ratzeburg/Madagskar (pm). Schüchtern kommt die 6-jährige Dorenah hinter ihrer Mutter hervor. Sofort ist erkennbar, weswegen das Mädchen mit den hübschen Augen sich verstecken will – sie leidet unter einer Lippenspalte. Das bedeutet, dass ihre Oberlippenanlagen während der Entwicklung im Mutterleib nicht miteinander verwachsen sind, sondern als Wülste ihre Schneidezähne freilassen. Diese Fehlbildung zählt zu den Lippen-Kiefern-Gaumen-Spalten, die weltweit mit einer Häufigkeit von 1:500 zu den häufigsten Fehlbildungen gehören. In Deutschland erkennt man diese Erkrankung oft schon vor der Geburt und kann entsprechend frühzeitig mit der Behandlung beginnen, was ein häufig völlig unbeeinträchtigtes Leben ermöglicht.
Für die kleine Dorenah gab es diese Hilfe nicht. Seit sechs Jahren muss sie sich anstarren, auslachen und ausgrenzen lassen. „Umso mehr sind wir beeindruckt, dass wir das Mädchen vor dem Krankenhaus mit einer Gruppe anderer Kinder Fußball spielen sehen. Ein ganz normales Kind. Wir stimmen der Operation zu und Dorenah bekommt ein gelbes Patientenarmband, auf dem wir Datum der OP und Patientennamen, sowie Diagnose notieren. Ein kurzes Aufklärungsgespräche mit Hilfe unserer einheimischen Übersetzerin und der Hinweis am OP Morgen nichts zu essen und dann geht es weiter mit den nächsten Patienten, denn es warten noch über 200 weitere Menschen auf uns“, berichtet Dr. Thomas Lange vom DRK Krankenhaus Mölln-Ratzeburg.
„Nachdem wir den selbstgekauften Diesel-Generator in Gang gebracht haben, kann Regina Bendfeldt (OP-Schwester) mit dem Aufbereiten und Sterilisieren der OP-Instrumente beginnen – ein Abenteuer, denn auch diese Geräte kennt man so aus deutschen Krankenhäusern nicht.“ Zwischendurch überprüft sie immer wieder die Materialien im OP, damit wir für die geplanten Operationen alles griffbereit haben.
In dem kleinen Salfa-Krankenhaus in Manambaro, ganz im Süden Madagaskars, hat das Team aus Dr. Thomas Lange (Plastische-, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie) und Dr. Anne Greiser (Allgemeinchirurgie) insgesamt 66 Operationen durchführen können. Darunter 41 unter Vollnarkose, welche das Team aus drei Anästhesisten ermöglichte. Es wurden neben Tumoren aller Art, Brustgeschwüre, Narben nach Verbrennungen auch wuchernde Weichteilinfektionen (Chromomykosen), sowie kleine aber störende Zysten an den Augenlidern operiert. „Für die Entscheidung, ob wir eine Operation durchführen können, zählt vor allem der Leidensdruck der Patienten, aber auch die Machbarkeit.“ Denn hier gibt es kein fließendes Wasser, keinen verlässlichen Strom, keine Intensivstation und keine sichere Nachbehandlung. Da die medizinische Versorgung auf Madagaskar desolat ist, die meisten Menschen keine Krankenversicherung haben und sich eine Operation niemals leisten könnten, reisen sie teilweise von sehr weit an, um eine kostenlose Behandlung zu erhalten. Hier spricht man durchaus von „Tagesreisen“, denn die Kilometeranzahl spielt hier eine untergeordnete Rolle. Entscheidender ist eher, ob jemand zu Fuß, mit dem Zebu-Wagen (einheimisches Rind), im überfüllten Bus, oder getragen durch Angehörige zum Krankenhaus gelangt.
Auch Dorenah ist mit ihrer Familie in einer 2-Tagesreise in den kleinen Ort, 25 km von Fort Dauphin entfernt, gereist, um Hilfe zu bekommen. Nach zirka 45 Minuten hat das kleine Mädchen einen wunderschönen symmetrischen Mund. Sie bleibt für die Wundkontrolle und Schmerzmittelgabe eine Nacht im Krankenhaus und teilt sich mit drei anderen Patientinnen ein Zimmer – mit Angehörigen! – denn diese bekochen und pflegen die Patienten während des stationären Aufenthaltes. Beim Verbandswechsel ist sie sehr tapfer – da alles prima aussieht darf sie am nächsten Tag nach Hause. Sie freut sich vor allem darauf, in ein paar Tagen wieder Fußball spielen zu dürfen – ein ganz normales Kind eben und jetzt darf sie endlich auch so aussehen…
Im Anschluss reist das Team in die Hauptstadt Antananarivo und operiert noch einige Tage kostenlos in den Räumlichkeiten einer nahegelegenen Geburtsklinik. Hier sind einige komplexe Fälle dabei. Zum Beispiel stellt sich der 11-jährige Isaia mit seiner Mutter vor. Er leidet unter einer Syndaktylie – von Geburt an sind beim ihm nicht alle Finger voneinander getrennt. „Wir operieren zunächst seine dominante Hand (er ist Rechtshänder) und müssen dafür auch eine Hauttransplantation aus der Leiste vornehmen. Er ist trotz der unangenehmen Verbandswechsel danach sehr glücklich und lächelt uns dankbar zu – unser Lohn für die lange Reise und die Mühen“, erzählt das Team um Dr. Lange. Im nächsten Einsatz kann dann hoffentlich Isaias linke Hand operiert werden.
Da die Einsätze der gemeinnützigen Organisation Pro Interplast Seeligenstadt ausschließlich aus Spenden finanziert werden, ist jede Hilfe willkommen, damit das insgesamt neunköpfige Team aus ÄrztInnen und Anästhesie- sowie OP-Schwestern auch im kommenden Jahr wieder so vielen Menschen wie möglich ehrenamtlich helfen kann.
Denn auch wenn die durch Dr. Anne Greiser und Dr. Thomas Lange operierten 88 PatientInnen in Gesamtschau der schweren Armut des Landes und der vielen bisher unbehandelten PatientInnen wie ein Tropfen auf den heißen Stein erscheinen. „Die Leben von zum Beispiel Dorenah und Isaia konnten wir maßgeblich verbessern“ resümiert das Team aus Ratzeburg. „Und wie heißt es so schön? Steter Tropfen höhlt den Stein…“