Herzogtum Lauenburg/Lübeck (pm). Die Wirtschaftspolitik benötigt einen echten Kurswechsel mit tiefgehenden Strukturreformen im Bund und in Europa. „Es muss einen Ruck und einen Aufbruch geben. Die Politik muss jetzt endlich die klare Botschaft aussenden: ‚Wir brauchen die Wirtschaft, wir wollen euch machen lassen, wir setzen auf eure Eigenverantwortung – in den Unternehmen, in der Gesellschaft‘. Nur mit so einem Ruck in die richtige Richtung, kann Politik Vertrauen zurückgewinnen, und nur so können wir Deutschland wirtschaftlich erfolgreich in die Zukunft führen“, sagte Hagen Goldbeck, Präses der IHK zu Lübeck, auf dem IHK-Neujahrsempfang. „Nach vier Krisenjahren in Folge sowie Unsicherheiten im In- und Ausland braucht die Wirtschaft deutlich bessere und verlässliche Rahmenbedingungen, um wieder auf den Wachstumspfad zu gelangen.“
Zunehmend gerate die deutsche Wirtschaft in eine Schieflage, und der Standort Deutschland verliere an Attraktivität. Nur mit einem kräftigen Aufbruchssignal könne die Politik bei den Unternehmen wieder Vertrauen zurückgewinnen, das sie in den vergangenen Jahren verloren hat. Goldbeck: „In der Wirtschaft müssen jetzt positive Veränderungen ankommen – schnell und konkret. Die Politik muss Vertrauen in die Eigeninitiative fassen und sich von der fixen Idee befreien, alles bis ins Kleinste regeln zu wollen. Mit Detailsteuerung und sich widersprechenden Vorschriften überfordert der Staat letztlich auch sich selbst. Nicht noch mehr komplizierte Regeln, sondern mehr gute Politik wünschen sich die Betriebe.“
Es sei Aufgabe der Politik, diesen verlässlichen und wachstumsorientierten Rahmen zu schaffen. Goldbeck: „Im Moment leiden die Unternehmen unter einer Kultur der Verbote. Damit muss Schluss sein, in unserem Land muss endlich wieder etwas möglich sein, das Einpressen in einen engen Rahmen muss aufhören, die Wirtschaft braucht Freiheiten“, forderte er vor rund 1.000 Unternehmerinnen und Unternehmern sowie Vertretern von Politik, Verwaltung, Kammern, Verbänden, Wissenschaft, Konsulaten, Kirche, Bundeswehr und öffentlichem Leben in der Musik- und Kongresshalle Lübeck.
Unter den Gästen waren Schleswig-Holsteins Landtagspräsidentin Kristina Herbst, Ministerpräsident Daniel Günther, Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen sowie sein Amtskollege in Mecklenburg-Vorpommern, Reinhard Meyer, Schleswig-Holsteins Innenministerin Dr. Sabine Sütterlin Waack, Justizministerin Professorin Dr. Kerstin von der Decken, Sozialministerin Aminata Touré und Digitalisierungsminister Dirk Schrödter. Auch die Präsidenten und Hauptgeschäftsführer der IHKn Kiel, Flensburg, Hamburg, Schwerin und Stade waren der Einladung gefolgt, wie auch die Spitzen der Handwerkskammer Lübeck, des UVNord sowie weiterer Kammern und die kommissarische Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischöfin Kirsten Fehrs.
Die Lage sei aber nicht so schlecht wie die Stimmung, betonte der Präses. „Unsere Wirtschaft im Hansebelt ist gut aufgestellt, die Stimmung bei uns ist besser als in anderen Regionen. Wir haben die größten Chancen, zur Boom-Region in Nordeuropa zu werden.“ Von Steuerreformen und der wichtigen Beschleunigung von Planungsverfahren über eine funktionierende Energieversorgung bis zur Stärkung der Infra- und Standortstruktur reichen die Forderungen der Wirtschaft. „Die Wirtschaft ist zwar unzufrieden und fordert Reformen. Aber sie reicht der Politik die Hand. Ich kann nur an unsere Politiker appellieren, diese ausgetreckte Hand zu nehmen, denn nur gemeinsam schaffen wir den Aufbruch“, sagte Goldbeck.
Unterstützung erhielt die IHK von Prof. Dr. Stefan Kooths, Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum, am Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW Kiel): „Nach dem konjunkturellen Kriechgang im vergangenen Jahr zeichnet sich für 2024 eine moderate Expansion ab. Der erhöhte Konsolidierungsdruck im Bund dämpft etwas, Wohl und Wehe der wirtschaftlichen Entwicklung hängen davon aber nicht ab. Auch deshalb nicht, weil der gesamtwirtschaftliche Schuh woanders drückt: Das Produktionspotenzial hat in den zurückliegenden Krisen gelitten und die Wachstumskräfte schwinden von Jahr zu Jahr“, sagte er. Zudem lasten der demografische Wandel und die energetische Transformation auf den Produktionsmöglichkeiten. „Gegenwind aus äußeren Krisen und dem weltwirtschaftlichen Umfeld kommen hinzu. Umso wichtiger wird es, an den Stellgrößen zu drehen, die die Wirtschaftspolitik selbst in der Hand hat, um den Standort zu stärken“, betonte der Experte.
Auch Ministerpräsident Daniel Günther ging auf die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation ein. „Die vergangenen Jahre haben uns alle stark gefordert und auch 2024 wird sicher nicht einfach werden. Die vielen Herausforderungen spiegeln sich zurzeit mehr denn je in der gesellschaftlichen Stimmung wider, die sich auch im Wirtschaftsbereich bemerkbar macht. Es gibt aber viele Gründe für Optimismus und Zuversicht“, so Günther. Dazu zähle auch die heute bekannt gewordene Standortentscheidung des schwedischen Batteriezellherstellers Northvolt für den Standort Heide. Das Ansiedlungsvorhaben böte große Chancen für die Region und das Land und sei auch für den internationalen Wettbewerb von hoher Bedeutung. „Northvolt ist ein Beispiel für die enormen Potenziale, die die Energiewende ebenso wie die digitale Transformation bietet. Wir wollen sie bestmöglich nutzen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu stärken und unseren Wohlstand zu sichern. Das gelingt mit innovativen Lösungen und gezielten Investitionen in die Erneuerbaren Energien“, sagte Ministerpräsident Daniel Günther.
Dafür brauche es insbesondere auch die Unternehmen im Land. Gerade die mittelständischen Unternehmen seien Leistungsträger der schleswig-holsteinischen Wirtschaft und Motor für Wachstum und Beschäftigung – auch aufgrund der Innovationsfähigkeit, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit des Mittelstands. Die Politik müsse aber Hilfestellung leisten. Wichtig sei, Vorhaben, egal welcher Größe, mehr Tempo zu ermöglichen. „Deshalb ist es gut, dass endlich der Pakt für Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung beschlossen wurde. In Schleswig-Holstein bringen wir ihn bereits voran und als erstes Bundesland auch ein Normenscreening, um Gesetze zu vereinfachen und zu verschlanken.“
Hagen Goldbeck stellte heraus, dass es vor allem auch darauf ankomme, künftig großflächiger zu denken und handeln. „Die Verkehrsinfrastruktur und die Energiewende mit Erneuerbarer Energie aus Windstrom funktionieren nur, wenn wir Ländergrenzen-übergreifend planen und handeln. Die Wirtschaft geht gern voran, braucht aber Freiheiten.“ Auch die Planungen für die Zeit nach der Eröffnung des Fehmarnbelt-Tunnels müsste alle Akteure gemeinsam vorantreiben, denn das Projekt biete Norddeutschland große Chancen. Goldbeck: „Ein wichtiges Projekt zur Verbesserung der Infrastruktur für den ganzen Norden könnte die gemeinsame Ausrichtung Olympischer Spiele in Hamburg und Kopenhagen sein. Der Hansebelt liegt genau auf dieser Achse, daher begrüßen wir die Initiative unserer Hamburger Kollegen.“
Im Hinblick auf länderübergreifende Kooperationen appellierte IHK-Hauptgeschäftsführer Lars Schöning an das Land, die gemeinsamen Projekte in der Metropolregion Hamburg voranzutreiben: „Leider hat unsere Landesregierung den Ausstieg aus der geplanten Innovationsagentur in der Metropolregion beschlossen – wegen fehlender Mittel. Das ist aus unserer Sicht ein Schritt in die verkehrte Richtung und nicht der Impuls, auf den die Unternehmen im gemeinsamen Wirtschaftsraum gewartet haben.“ Schöning bezog sich vor allem auf einen OECD-Bericht, der „uns schmerzlich vor Augen führt, dass wir in der Metropolregion zu viele Chancen, die sich im Bereich Erneuerbare Energien und Innovationen bieten würden, nicht konsequent nutzen. Hier erwarten wir ein Umdenken.“
Schöning zog ein eindeutiges Fazit: „Insgesamt brauchen wir für den Wirtschaftsstandort Deutschland vor allem ein geändertes Mindset.“ Der Staat müsse nicht alles bis ins letzte Detail regeln. „Wir müssen gemeinsam wieder mehr auf Eigenverantwortung setzen. Dafür braucht es Vertrauen und eine Kultur des Zutrauens zwischen Politik und Wirtschaft.“ Wichtig seien jetzt eine konsequente Deregulierung auf allen Ebenen sowie gezielte Investitionen in Infrastruktur, Netze und Innovationen. „Die Steuereinnahmen steigen seit Jahren, die Wirtschaft stellt zudem so viele sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze wie noch nie. Nun muss der Bund seine Ausgaben in den Griff kriegen, um selbst Freiräume für Investitionen zu gewinnen und dem Mittelstand und den gesellschaftlichen Leistungsträgern wieder mehr Luft zu geben“, so Schöning. Alle gemeinsam müssten den Mangel an Arbeits- und Fachkräften angehen: vorhandene Potenziale aktivieren, Menschen gezielt anwerben und deshalb vor allem in Bildung investieren und die Rahmenbedingungen so setzen, dass Leistung sich wieder lohnt – „und das auf allen Ebenen von Bürgergeldbeziehern, die wir für den Arbeitsmarkt aktivieren, bis hin zu den Leistungsträgern“, so Schöning.