Herzogtum Lauenburg/Lübeck (pm). Der Hansebelt ist und bleibt ein exzellenter Wirtschaftsstandort. „Doch auch bei uns blickt die Wirtschaft sorgenvoll in die Zukunft. Damit unser Land auf den Wachstumspfad zurückkehren kann, müssen Bund und Europäische Union die Fesseln lösen und der Wirtschaft mehr Freiheiten geben, statt die Unternehmen mit Gesetzen eng an die Kette zu legen“, forderte Hagen Goldbeck, Präses der IHK zu Lübeck, in der IHK-Jahrespressekonferenz.
Mittlerweile bestimmten bürokratische Hürden und gesetzliche Auflagen den unternehmerischen Alltag. Innovationen, Investitionen und Kreativität kommen daher immer kürzer, fehlende Planbarkeit und Verlässlichkeit von Rahmenbedingungen würden Betriebe belasten und unüberschaubare Risiken den Gründergeist ersticken, beklagte der Präses. „Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist nicht in die weltweite Spitze aufgestiegen, weil wir mehr oder bessere Vorschriften hatten als andere. Vielmehr hatten wir verlässliche Rahmenbedingungen, die die Entwicklung von Unternehmen und Standortfaktoren befördert haben. Diesen Zustand müssen wir schnellstmöglich wieder herstellen. Nur mit mehr Vertrauen in die Unternehmen, Reformen und wieder mehr Freiheiten im Markt können wir eine Wirtschaftsdynamik entfesseln, die Wachstum und Wohlstand dauerhaft sichert.“
Die Chancen für Prosperität und Dynamik seien im Hansebelt grundsätzlich gut, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Lars Schöning. „Der Bau des Fehmarnbelt-Tunnels, des größten Infrastrukturprojekts in Nordeuropa, wirkt sich bereits positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. Erste Ansiedlungen von Unternehmen und eine hohe Nachfrage nach Gewerbeflächen belegen, dass wir zur Boom-Region werden könnten – wenn die strukturellen Voraussetzungen besser werden.“ Er sieht vor allem den Bund in der Pflicht, durch einen Kurswechsel umgehend die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen auf den Weltmärkten zu erhöhen. „Nur eine gut aufgestellte und wachsende Wirtschaft stellt Wertschöpfung, Arbeitsplätze und Steueraufkommen sicher, die dem Staat Handlungsfreiheit geben. Zögerlichkeit und der Aufbau neuer Hemmnisse bewirken aber genau das Gegenteil.“
Einer aktuellen Umfrage der DIHK zufolge ist die Stimmung deutschlandweit in den Unternehmen schlecht. Die Teilnehmer, auch aus dem Hansebelt, gaben der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung die Schulnote 4,8 – mangelhaft. Es sei daher dringend Zeit für Verbesserungen bei den Rahmenbedingungen. Eine wichtige Voraussetzung für das Vertrauen von Wirtschaft, Investoren und Verbrauchern in den Standort ist die Verlässlichkeit der politischen Entscheidungen. „In der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt darf es weder verfassungswidrige Haushalte noch Streit um Schuldenbremsen oder kurzfristige Kehrtwenden beim Zugriff auf Förderprogramme geben. Leider präsentiert sich unser Land derzeit als fast handlungsunfähig. Und das ohne Not“, betonte der Präses. „An Geld mangelt es nicht, wohl aber an Vernunft-basierten Prioritäten und gut gemachten Gesetzen.“
Als abschreckendes Beispiel nannte er das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“. Es vereine in sich alles, was niemand brauche: „Überbordende Bürokratie, aufwendige Dokumentationen, unklare Formulierungen, eine fehlende Wirkungsanalyse und einen Generalverdacht gegen alle Unternehmen“, so Goldbeck. Seit 1. Januar 2024 adressiere es bereits Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern. Tatsächlich treffen die Vorgaben die Mehrzahl aller Gewerbetreibenden, weil größere Unternehmen Screening-Aufgaben an die kleineren in der Lieferkette weiterreichen. Das nationale Gesetz und die angekündigten Verschärfungen auf EU-Ebene führten schon jetzt dazu, dass sich Unternehmen aus ausgewählten Märkten zurückzögen.
Zudem müssten sie permanent ihre Rechtschaffenheit belegen. „Wieso? Sie handeln bereits aus Überzeugung nach der Leitlinie des ‚Ehrbaren Kaufmanns'“, betonte Goldbeck. Nachhaltigkeit auch in den Lieferketten gehöre längst zum unternehmerischen Alltag. Viele Betriebe engagierten sich schon heute über die gesetzlichen Anforderungen hinaus. „Und nun stellen Bund und EU sie vor weder praxistaugliche noch verhältnismäßige Regelungen. Ich habe kein Verständnis dafür, dass die Bundesregierung in dieser Form an einer Verschlechterung der Bedingungen für die Wirtschaft mitwirkt und sie nicht verhindert.“
Weniger Regularien erhöhten vielmehr die Attraktivität des Unternehmertums. „Eine junge, mutige, risikobereite Unternehmergeneration steht zurzeit leider nicht Schlange bei den vielen übergabereifen Betrieben. Warum wohl nicht?“, fragte Schöning. „Weil die vielen abstrakten Pflichten sowie hohe Kosten für Energie sich abschreckend auf die Absicht zur Nachfolge oder Gründung auswirken.“ Unternehmerinnen und Unternehmer seien aber wichtige Leistungsträger in unserer Gesellschaft. „Wir brauchen Menschen, die mit Ideen, Kreativität und Elan anpacken und vorangehen. Die Politik sollte das noch viel mehr würdigen und damit einen Beitrag leisten, das Image des Unternehmertums zu verbessern.“
Zugleich warnte er davor, Leistungen und Ansiedlungen im internationalen Wettbewerb mit Subventionen zu erkaufen. „Um die Leistungsfähigkeit eines Standortes zu erhöhen, sollten wir darauf verzichten, jedem eine Ansiedlungsprämie zu zahlen.“ Langfristig entscheide nicht die vom Staat gestützte Wirtschaft über die Güte eines Standortes, sondern das Ineinandergreifen vieler Faktoren – von Investitionen in Bildung und die Innovationsfähigkeit der Unternehmen über einen funktionierenden Arbeits- und Fachkräftemarkt bis zur Verkehrs- und digitalen Infrastruktur.
Schöning: „Wir müssen in Wirtschaftsräumen denken. Der Hansebelt ist ein gut aufgestellter Wirtschaftsraum mit großem industriellem Potenzial sowie Schwerpunkten in der Logistik, im Bereich Life Science und im Tourismus. Der Bund sollte die Erreichbarkeit für Menschen und Güter durch einen Ausbau der Verkehrswege und moderne Mobilitätskonzepte fördern. Diese sinnvoll eingesetzten Investitionen als ‚Regions-Subventionen‘ tragen zum Erfolg unseres Standortes bei. Stimmen bei uns die Voraussetzungen, werden sich Unternehmen für Ansiedlungen und Fachkräfte für Jobs im Hansebelt entscheiden.“
Ein weiteres großes Ärgernis und Problem für die Wirtschaft sind die hohen Energiepreise. „Es ist zwar schön, in einem internationalen Ranking an erster Stelle zu stehen – aber doch nicht als Industriestaat mit den im Vergleich höchsten Energiepreisen!“, beklagte der Präses. Preisbremsen wären zwar eine kurz- bis mittelfristige Hilfe für die besonders energieintensiven Bereiche gewesen, aber keine Lösung, denn die Energie ist und bleibt zu teuer – vor allem für den Mittelstand. „Und sie wird noch teurer werden, auch wenn mit der Stromsteuerentlastung für produzierende Unternehmen eine langjährige Forderung der Wirtschaft in Erfüllung geht“, so Goldbeck.
„Der Marktlogik folgend sollten mit dem umfangreichen Ausbau erneuerbarer Energiequellen die Strompreise in Schleswig-Holstein sinken. Tatsächlich passiert das bei uns aber nicht, ganz im Gegenteil: Durch die einheitliche Strompreiszone in Deutschland wird mit der Zunahme erneuerbarer Energien der Börsenpreis zwar günstiger. Der Preis für den Strombezug beinhaltet aber auch die Kosten der Netzentgelte. Und die sind in Schleswig-Holstein am höchsten, weil die Betreiber hier am meisten in die Netze zur Anbindung der Erneuerbaren investieren. Die Kosten dafür legen sie aber nur auf die Verbraucher in Schleswig-Holstein um, obwohl alle davon profitieren.“
Auch müssten die Erzeuger ihre Windkraftanlagen häufig abschalten, weil Konzepte der dezentralen Speicherung und Geschäftsmodelle zur flexiblen Nutzung der Energie energiepolitisch nicht möglich sind oder sich aufgrund der schlechten Regulierung nicht rechnen. „Die dafür gezahlte Vergütung treibt zusätzlich die Netzentgelte in die Höhe. Es ist nun endlich an der Zeit, die Regulatorik an die neue dezentrale Energieversorgung mit Erneuerbaren anzupassen. Die Landesregierung sollte weiterhin konsequent den dafür notwendigen regulatorischen Rahmen in Berlin und Brüssel einfordern und kann sich dabei der Unterstützung der Wirtschaft im Hansebelt sicher sein“, sagte der Präses.
Die IHK wird daher im neuen Jahr ihre Aktivitäten verstärken, im konstruktiven Dialog mit der Politik in Bund und Land die Rahmenbedingungen für die Unternehmen deutlich zu verbessern, kündigte Hauptgeschäftsführer Schöning an. „Wir setzen uns ein für eine Sicherstellung der Energieversorgung und eine Senkung der Energiekosten, den Ausbau der Verkehrs- und digitalen Infrastruktur, die Förderung der Innovationskultur sowie eine Stärkung des Hansebelts als leistungsfähiger Standort in Europa“, kündigte er an. Die IHK sehe sich als „Teil der Lösung“, die ihren gesetzlichen Auftrag der Politikberatung mit eigenen Ideen erfüllt.
Mit der bundesweiten Ausbildungskampagne #könnenlernen wirbt die IHK für die duale Ausbildung in den Betrieben – mit Erfolg: Die Zahl der Ausbildungsverträge ist im Vergleich zu 2022 zum Jahresende leicht gestiegen. „Für die Unternehmen ist das eine gute Nachricht, denn der Hansebelt bietet eine gute Basis für die Ausbildung und damit die Deckung des Fachkräftebedarfs“, so Schöning. „Außerdem engagieren wir uns in der Nachfolgeinitiative des Landes gemeinsam mit den IHKn in Flensburg und Kiel sowie den Handwerkskammern Lübeck und Flensburg dafür, mehr Menschen für die Übernahme eines bestehenden Unternehmens zu begeistern. Die Nachfolge bietet große Chancen für die Übernehmer und die Mitarbeiter, weil ihr Arbeitgeber und dessen Know-how erhalten bleiben.“ Einer aktuellen Umfrage der Kammern zufolge steht nur noch knapp ein Drittel der Nachfolger in der Unternehmerfamilie zur Übernahme bereit. „Daher müssen wir weitere Potenziale erschließen“, sagte Schöning. Erforderlich sei es, vor allem Mitarbeiter als starke Ressource anzuerkennen, einzubinden und wertzuschätzen. „Auch bei ihnen gilt es, den Leistungsgedanken zu fördern und ihnen Perspektiven zu eröffnen.“
Sorgen bereite der IHK allerdings der anhaltende Rückgang der Zahl der Selbstständigen. Der Negativtrend bei den Gründungen sei eine ernstzunehmende Herausforderung für die Wirtschaft, denn es gingen Wertschöpfung, Know-how und Innovationspotenzial verloren, betonte Schöning. Der Staat könne auch hier einiges bewirken, indem er für Aus- und Neugründer sowie Nachfolger den bürokratischen Aufwand deutlich reduziert.
Die Politik habe es in der Hand, das Vertrauen der Unternehmen in den Standort zu stärken. Der „Pakt für Beschleunigung“ sei ein richtiger Ansatz, müsse aber zügig Realität werden. Für Impulse seien ein Bürokratieentlastungsgesetz sowie das Wachstumschancengesetz mit degressiver Abschreibung und der Investitionsprämie für Energieeffizienz von größter Bedeutung. Präses und Hauptgeschäftsführer stellten heraus, wie dringlich ihre Forderungen an die Politik seien. „Noch stemmt sich die Wirtschaft im Hansebelt erfolgreich gegen den Abwärtstrend, weil die Standortfaktoren hier stimmen“, so Goldbeck. Belege seien die weitgehend positive Entwicklung im Arbeitsmarkt. Auch die bundesweit erhobenen Konjunktur-Indices deuteten auf eine noch stabile Lage hin. „Allerdings gehen der Einzelhandel nach einem im Vergleich zum Vorjahr schwächeren Weihnachtsgeschäft und der Tourismus wegen trüber Aussichten mit Pessimismus ins neue Jahr.“ Wie vor allem die Politik im Bund und Europäischer Union zum Aufhellen der Stimmung im Norden beitragen kann, erfahren die Gäste des IHK-Neujahrsempfangs am Mittwoch, 17. Januar 2024, in der Lübecker Musik- und Kongresshalle. Jetzt anmelden: www.ihk.de/sh/njeLuebeck