Ratzeburg (pm). Unter dem Motto ‚Create your library – Gestalte deine Bücherei‘ hat die Stadtbücherei Ratzeburg vor den Herbstferien einen kreativen Aktionstag für ein junges Zielpublikum veranstaltet. Hintergrund waren Überlegungen, wie sich die Stadtbücherei zukünftig noch stärker jugendlichen Nutzerinnen und Nutzern öffnen kann. „Wir arbeiten seit dem Frühjahr an einer Neuausrichtung der Stadtbücherei. Ziel ist es, die Stadtbücherei für die unterschiedlichen Nutzergruppen zu einem ‚Dritten Ort‘ zu entwickeln“, sagt Büchereileiterin Dajana Stolz. Das Konzept des ‚Dritten Ortes‘ entstammt der Soziologie. Es beschreibt die Orte, in denen sich Menschen aufhalten, begegnen und interagieren, Orte mit jeweils unterschiedlichen Funktionen. So dient der ‚Erste Ort‘ dem Familien-, der ‚Zweite Ort‘ dem Arbeitsleben. Der ‚Dritte Ort‘ bietet zu diesen beiden einen Ausgleich, ein Ort der Freizeitgestaltung und ein Treffpunkt für die nachbarschaftliche Gemeinschaft. Ein solch ‚Dritter Ort‘ möchte die Ratzeburger Stadtbücherei sein. „Viele Büchereien in Deutschland gehen diesen Weg und wandeln sich von Orten der Medienausleihe zu Orten der Begegnung, in denen Menschen gerne ihre freie Zeit verbringen“, erläutert Dajana Stolz dieses Konzept.
Dazu müssen diese Orte entsprechende Angebote machen, wie freie Nutzungszeiten, einfache Zugänge und eine Wohlfühlatmosphäre. Auf dem Weg dorthin bedarf es einer genauen Analyse der Zielgruppen. Was wünschen sie sich für Angebote an einem ‚Dritten Ort‘? In welchem Umfeld fühlen sie sich wohl? In welchen Zeiten nutzen sie einen ‚Dritten Ort‘ für sich? Solche Fragen wurden in einer Arbeitsgruppe bewegt, die Dajana Stolz im Frühjahr des Jahres mit Unterstützung des Ratzeburger Bildungsnetzwerk von freien Bildungsträgern der Jugend- und Erwachsenenbildung ins Leben gerufen hat. Angeleitet wurde sie von Julia Bergmann, die als Fachberaterin für kundenzentriertes Design Bibliotheken bundesweit in Transformationsfragen berät. Schlüssel dieses Prozesses ist das sogenannte ‚Design Thinking‘, eine Gestaltungsmethode, in deren Zentrum die gewünschte Zielgruppe steht. Durch Befragen, Zuhören, Beobachten, Ausprobieren und kritisches Bewerten wird versucht, deren Bedürfnisse so präzise wie möglich zu erfassen und entsprechend passgenaue Angebote zu entwickeln. Dieser Prozess schreitet nicht geradlinig voran, sondern durchläuft dabei viele Zwischenschritte und Schleifen und bindet ganz unterschiedliche Expertisen ein.
„Wir haben uns in unserer Arbeitsgruppe auf die Zielgruppe ‚Jugendliche‘ fokussiert und gefragt, wie die Stadtbücherei gestaltet sein müsste, damit junge Menschen sich hier aufhalten wollen“, beschreibt Dajana Stolz den Forschungsrahmen des ‚Design Thinking‘. Gemeinsam führte die Arbeitsgruppe Interviews mit Jugendlichen durch und beobachtete sie in jugendtypischen Umgebungen. Die Ergebnisse wurden aus ganz unterschiedlichen fachlichen Blickwinkeln bewertet und analysiert. „Über das Bildungsnetzwerk konnten wir die Expertise der städtischen Jugendzentren, der Volkshochschule oder der Partnerschaft für Demokratie einbinden, aber auch Akteure aus Schule, Kirche und Zivilgesellschaft, die die Bücherei für sich nutzen, wirkten daran mit“, sagt Dajana Stolz. Gemeinsam entwickelten sie daraus Konzepte und Modelle für die Stadtbücherei. Im Rahmen des Aktionstages ‚Create your library‘ konnten diese Modelle von der jugendlichen Zielgruppe ausprobiert und bewertet werden. „Wir konnten aus diesem Feedback wichtige Schlüsse und viele Inspirationen für die Ausgestaltung eines Jugendraumes in der Stadtbücherei ziehen“, sagt Dajana Stolz. Die Jugendlichen haben die Raummodelle mit Farben, Formen und Stoffen gestaltet und sie haben dem Team damit ganz genau gezeigt, wie ihr Jugendraum aussehen, wie er eingerichtet und gestaltet sein soll. Die Umsetzung muss nun im nächsten Schritt mit dem Bauamt in der Verwaltung besprochen werden und die Stadtbücherei muss dafür Geldmittel bei den Entscheidungsträgern in der Stadtpolitik einwerben.
Ein weiteres Konzept, das an beim Aktionstag ‚Create your Library‘ ausprobiert wurde, ist die ‚Living Library‘. Dieses Konzept sieht vor, dass Ratzeburger oder Ratzeburgerinnen in einem kleinen Kreis mit jugendlichen Zuhörerinnen und Zuhörern in einen intensiven Austausch gehen. Die Erzähler, der über spezielle Aspekte seines Lebens erzählt, fungieren hier als lebendiges Buch und die Zuhörer können ihm ihre Fragen stellen. „Am Büchereitag hatten wir eine Rechtsanwältin, eine Richterin, die als Jugendliche im Rahmen eines Schüleraustausches für ein Jahr nach Japan ging und einen Studenten, der sich ehrenamtlich stark für die jungen Ratzeburger und Ratzeburgerinnen engagiert. Diese Form der Veranstaltung wurde von den Jugendlichen mit Begeisterung aufgenommen und sie wird deshalb ab Februar nächsten Jahres ein fester Bestandteil der Programmarbeit mit Jugendlichen in der Stadtbücherei darstellen. Das Beteiligungsprojekt, bei dem wir den Jugendlichen unter anderem anbieten, sich bei dem Bestandsaufbau für ihre Altersgruppe zu beteiligen, läuft seit dem Aktionstag und wird gut angenommen“, berichtet Dajana Stolz.
Wie geht es mit der Neuausrichtung der Stadtbücherei mit dem Blick auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger Ratzeburgs hinsichtlich ihrer Bücherei vor Ort weiter? „Geplant ist mindestens ein weiterer Design-Thinking-Prozess, bei dem die Bedürfnisse einer weiteren Zielgruppe erforscht und in Projekten umgesetzt werden. Die Stadtbücherei will für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt Ratzeburg und ihres Umlands einen ˈDritten Ortˈ bieten, den sie gerne und oft besuchen. Design-Thinking-Prozesse sind sehr zeit- und arbeitsreich. Deshalb wird voraussichtlich erst zum Ende des ersten Halbjahres 2024 mit dem nächsten Prozess begonnen werden“, skizziert Dajana Stolz die nächsten Schritte.