Mölln (tbi). Gut 100 Tage ist Ingo Schäper Bürgermeister der Eulenspiegelstadt. Zeit, nach den ersten Erfahrungen mit Verwaltung, Politik und den Bürgerinnen und Bürgern zu fragen, nach vielleicht überraschenden Erkenntnissen und den größten Herausforderungen in den kommenden Monaten.
Herzogtum direkt: Es war langer Sommer mit Pausen in der Stadtpolitik. Die ersten Feste konnten in der Stadt wieder gefeiert werden. Was sind die ersten Eindrücke vom neuen Amt und ist Ingo Schäper nach rund 100 Tagen schon ganz im Stadthaus angekommen?
Ingo Schäper: Die ersten Erfahrungen mit Politik, Verwaltungen und Bürgerinnen und Bürgern sind sehr positiv, wenn auch sehr arbeitsreich. Besonders von den Menschen in der Stadt habe ich sehr viel Zuspruch und Anregungen erhalten. Ich versuche, die Menschen bei ihren Anliegen zu unterstützen, sage aber auch klar meine Meinung. „Müll“ ist in der Stadt immer wieder ein Thema und da versuche ich, gemeinsam Lösungen zu finden. Ich sage aber auch klar, was mich stört.
Natürlich habe ich hier im Haus auch Verunsicherungen wahrgenommen: „Der hat Verwaltung studiert, der geht jetzt in meine Arbeit rein“, so etwas. Ich würde nicht sagen, dass ich überall mit offenen Armen aufgenommen wurde, weil ich ja von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt wurde und nicht aus dem Amt heraus aufgrund meiner Leistungen hier bin, aber der Umgang ist freundlich und respektvoll, aber teilweise auch noch etwas zurückhaltend. Das halte ich aber für ganz normal.
Sind Sie ab und an im Gespräch mit Ihrem Amtsvorgänger Jan Wiegels? Was hat er Ihnen auf den Weg mitgegeben?
Wir haben uns ausgetauscht und eine relativ kurze Übergabe gemacht. Jan Wiegels hat bis zum letzten Tag im Amt gearbeitet und war sehr eingebunden. Bei einigen Themen habe ich die Position, dass ich darüber gar nichts hören wollte, sondern mir die Erfahrungen selber erarbeite, um mir einen eigenen Eindruck verschaffen zu können.
Was war bislang die größte Überraschung bei der Amtsführung?
Die Verwaltung, Ich komme ja aus einer sehr großen Verwaltung, hier bin ich in einen Bereich hereingekommen, wo ich merke, die Menschen identifizieren sich noch ganz anders mit ihren Aufgaben. Es gibt hier Mitarbeitende, die am Wochenende, in ihrer Freizeit kommen, um zu sehen, wie man etwas regeln könnte. Es gibt Kollegen, die gehen trotz Urlaub zu Ausschusssitzungen, um gewappnet zu sein und Informationen direkt zu erhalten. Ich finde es sehr beeindruckend, wie sich viele hier engagieren.
Und was überraschte im Gespräch mit Möllnerinnen und Möllnern?
Im Wahlkampf war immer wieder Thema, dass ich nicht in Mölln wohne, das spielt in den Gesprächen zu meiner Überraschung nun überhaupt keine Rolle mehr.
Was war der erste Angang in Ihrem neuen Amt?
Ganz klar die Verwaltung, dann grätschte allerdings auch schnell das Tagesgeschäft rein. Die Innenstadtgestaltung, die Schulbauten sind ein Riesenthema; wie gehen wir weiter vor, was müssen wir in die Wege leiten?
Die Brandanschläge, durch die Mölln auch eine sehr traurige Berühmtheit erfuhr, jähren sich im November zum 30. Mal. Vor einigen Tagen gab es eine Brandstiftung in der Moschee. Jetzt ist zu hören, dass in den vergangenen Wochen Flyer und Aufkleber mit rechtsextremen Inhalten in Bahnhofsnähe entdeckt wurde. Was für ein Problem hat die Stadt Mölln?
Das Thema „Gedenktag“ bindet mich sehr. Das spielt auch in die Landes- und Bundespolitik hinein. Ich spreche mit allen Fraktionsvorsitzenden, wie wir diese Veranstaltung gemeinsam gestalten. Da gibt es sehr viel Unterstützung und Kooperationsbereitschaft seitens der Politik.
Ich denke nicht, dass die Stadt Mölln ein Problem hat. Es sind einzelne Leute, die ein Problem haben. Ich kann es wirklich nicht nachvollziehen. Ich bin kein Möllner, ich wohne hier nicht und werde trotzdem mit offenen Armen in der Stadt empfangen und sehe, was viele, viele Menschen hier auf die Beine stellen. Viele gehen diese Themen mit Offenheit an und engagieren sich ehrenamtlich für Flüchtlinge. Wir haben den Verein Miteinander leben in Mölln und viele Engagierte mehr, die etwas auf die Beine stellen. Und bis auf einige Facebook-Nutzer sagen alle „das können wir nicht dulden und tolerieren“. Ich denke, das ist auch nicht das Thema unserer Stadt; es ist das Problem einzelner, die generell unzufrieden sind und ihren Unmut an bestimmten Personengruppen auslassen müssen. Und da werden sich die Gruppen ausgesucht, wo es am einfachsten erscheint. Mich ärgert es aber auch, dass es einige Menschen gibt, die versuchen, das kleinzureden. Bei der Brandstiftung vor einigen Tagen ist nicht wirklich Schlimmes passiert, aber den Gedanken, dass etwas hätte passieren sollen, muss man im Keim ersticken. Da muss man sagen: wir sind dagegen! Und da steht auch die Politik hinter; wir müssen das Thema offensiv angehen.
Wir haben den 30. Gedenktag und stellen uns an die Seite der Betroffenen. Ich mag Gewalt und Extremisten in allen Richtungen nicht.
Was erwarten Sie als die größten Herausforderungen im ersten Amtsjahr?
Die Entwicklung der Energiepreise macht uns auch in Mölln große Sorgen. Wenn Menschen ihre Wohnkosten nicht mehr bezahlen können, habe ich Sorge, dass es unter Umständen zu einer Bewegung kommt, die zu Problemen führen kann. Für die durch den Krieg in der Ukraine gestiegenen Energiekosten könnten einige Menschen irgendwann auch die Stadt Mölln und die Politik vor Ort verantwortlich machen.
Wir müssen uns auch über die Strukturen der Stadtverwaltung Gedanken machen. Mein Ansatz ist es, die Führungskräfte mehr zu fördern und zu fordern, sodass sie viel mehr Freiheiten bekommen, innerhalb ihres Bereiches mehr Entscheidungen treffen zu können. Warum soll ich zum Beispiel einen Wunsch auf Homeoffice abzeichnen, wenn die zuständige Fachbereichsleitung das bereits befürwortet? Das macht für mich keinen Sinn, ich vertraue meinen Leuten.
Wir haben Verantwortung für die Mitarbeitenden. Die Verwaltung wird häufig kritisiert, aber ich muss sagen, ich kann diese Kritik nicht mittragen. Es sitzen wirklich gute Leute an ihren Posten und engagieren sich extrem. Ich habe mir schnell die Überstunden- und Resturlaubskonten angesehen, da müsste man schon fast die Leute bremsen und sagen „Urlaub ist dazu da, sich zu erholen und nicht permanent erreichbar zu sein“. Es gibt hier Mitarbeitende mit 600 Überstunden, da mache ich mir schon Sorgen. Wir gehen das gemeinsam an und überarbeiten die Richtlinien, wir müssen da gemeinsam mit dem Personalrat Grenzen setzen.
Das größte Thema der nächsten Jahre werden die Schulbauten in Verbindung mit den Finanzen sein. Die vorliegenden Konzepte gehen in den höheren zweistelligen Millionenbereich. Aber es wurde jahrelang nichts gemacht und jetzt muss man handeln! Es gibt zwar Zuschüsse, aber selbst, wenn wir 20 Millionen dazubekämen, musste die Stadt selbst noch 40 Millionen zahlen, Stand heute. Wie soll ich eine Stadt entwickeln, wenn ich keine finanziellen Möglichkeiten dazu habe? Ich habe viele Ideen, um die Stadt weiter attraktiv zu entwickeln, aber das kostet alles Geld. Und das muss jetzt in die Schulbauten fließen. Wir suchen den Kontakt mit dem Land, denn viele andere Städte haben das Problem auch. Und wenn wir es angehen, sollten wir keine halben Sachen machen, das würde uns in ein paar Jahren wieder auf die Füße fallen.
Wird der Umbau der Hauptstraße im März 2023 beginnen?
Das hängt von den Ausschreibungen ab, die jetzt veröffentlicht sind. Wir wissen natürlich nicht, wie sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt entwickelt, ob sich so schnell überhaupt Firmen finden lassen. Das ist ein Riesenproblem, wenn wir es immer weiter verschieben müssen. Ich glaube, jetzt haben wir noch eine gewisse Rückendeckung der Bürgerinnen und Bürger, aber irgendwann wird das auch mal umkippen und wenn die finanzielle Situation immer enger und strenger wird, dann wird es schwierig, so eine Maßnahme anzustoßen.
Was denken Sie bislang über das Zusammenwirken mit der Politik
Die Zusammenarbeit mit der Politik ist immer wieder ein Thema. Meines Erachtens kann die Politik mit dazu beitragen, wie eine Verwaltung wahrgenommen wird. Da wurde uns von der Politik bei der Umgestaltung der Innenstadt ein wenig in die Seite gefahren, wenn gesagt wurde, die ganze Organisation, die ganze Planung wurde zum Beispiel ohne Beteiligung des Einzelhandels gemacht. Das ist für mich ein Punkt, der einfach nicht stimmte. Pauschale Behauptungen führen zu einem Schaden in der Verwaltung, die sowieso nie einen guten Ruf hat. Politik und Verwaltung dürfen sich nicht als Feindbilder sehen, sondern in einem Miteinander. Wir tragen die Entscheidungen der Politik und wenn es mal nicht so schnell läuft wie gedacht, muss die Politik auch sagen können „okay, wir kennen die Hintergründe, warum es so ist“. Ich glaube, in dem Bereich ist noch viel Luft nach oben.
Zum Abschluss eine persönliche Frage: Lassen sich Familienleben und Termine eines Bürgermeisters bislang gut unter einen Hut bringen?
(Lacht) Es ist so, wie wir es erwartet haben.
Vielen Dank Ingo Schäper.
Das Gespräch wurde gekürzt.
Wir haben mit dem Bürgermeister auch über die Themen Sanierung Uhlenkolk, Wohnraummangel, Müll in der Stadt, Öffentlichkeitsarbeit, die Verwaltungsgemeinschaft mit dem Amt Breitenfelde und das Verhältnis zur Stadt Ratzeburg gesprochen. Diese Themen werden wir wieder aufnehmen, wenn es aktuelle Bezüge gibt.