Lehmrade (tbi). Neubaugebiet versus Naturschutz – diesen Interessenskonflikt erleben viele Gemeinden. In Lehmrade schlagen die Wellen seit einigen Monaten besonders hoch. Nun ist es auch zum Streit über die vereinbarte Mediation gekommen.
Die Fronten sind verhärtet in der kleinen Gemeinde mit rund 600 Einwohnenden im Südosten von Mölln. Wohnraum und Bauplätze werden nachgefragt und sind in Vorplanung. Auf der anderen Seite fürchten Naturschützer um ein kleines Biotop in der Gemeinde und halten die Planungen für überdimensioniert. Hartmut Enge ist einer von ihnen. Er hat nach eigenen Angaben bereits Unterschriften von einem Drittel der in Lehmrade lebenden Stimmberechtigten gesammelt, die sich gegen die im Raum stehenden Planungen aussprechen. In der eigens gegründeten Bürgerinitiative (BI) engagieren sich 35 Menschen aktiv. Ein Vorwurf: Die Planungen würden gegen geltendes EU-Recht verstoßen.
Im nördlichen Bereich der Herrenstraße ist bereits ein relativ schmaler Streifen als Bauerwartungsland ausgewiesen. Nach den aktuellen Planungen der Prokom Stadtplaner und Ingenieure Gesellschaft sollen 21 Wohneinheiten auf einer Fläche von über 11 000 Quadratmetern entstehen.
„Seit über 40 Jahren genieße ich hier die Natur und die Diversität der Tierwelt hier“, sagt Hartmut Enge, der mit Ehefrau Kathrin und Nachbar Henry Kersten zu den Kritikern der Bauplanungen in diesem Ausmaß gehört. Jeden Morgen wären Rehe bei dem Biotop zu beobachten, Wildgänse, Lurche, Molche und Amphibien ließen sich hier sehen. „Es geht uns nicht um die Sicht, es geht uns um die Natur“, versichert Henry Kersten. So sei die Forderung der Kritiker des Bauprojektes nicht, gar nicht zu bauen, sondern das Planungsgebiet zu verkleinern. „Der Natur muss genügend Platz gelassen werden!“, fordern sie. „Das Dorf soll ja gern wachsen, aber in einem dezenten Maße“, sagt Hartmut Enge. Rund 200 Autobewegungen mehr am Tag würde es für die kleinen Straßen um das Planungsgebiet bedeuten, haben die Kritiker ausgerechnet. „Die Herrenstraße ist eigentlich ein Wirtschaftsweg“, sagt Enge. Auch stünden junge Familien, die von dem Bauvorhaben angezogen würden vor einem weiteren Problem: „Die Kitas in Mölln und Sterley haben enorme Wartezeiten“, so Hartmut Enge.
Um nach einer gut besuchten und lebhaften Gemeinderatssitzung Anfang Juni aufeinander zugehen zu können, wurde sich geeinigt, einen Mediationsprozess einzuleiten. Doch auch über die Besetzung eines Mittlers kam es zum Streit. Lehmrades Bürgermeisterin Cornelia Wagnitz hatte Holger Fröhlich als Mediator hinzugeholt. Bei einem Treffen Fröhlichs mit der BI stellte sich heraus, dass dieser keine Ausbildung zum Mediator oder Moderator habe. Der Architekt Fröhlich sei, so schilderte es die BI, „durch seine beruflichen Verquickungen nicht neutral“, und in diesem Verfahren ungeeignet. Im Gegenzug schlug die BI die Suche nach einem ortsfremden und professionellen Moderator vor.
Dessen ungeachtet wurden seitens der Bürgermeisterin ausschließlich die Anwohnenden der Herrenstraße zu einem ersten Workshop mit Holger Fröhlich eingeladen. „Uns verwundert dieses Vorgehen sehr, die weiteren Mitglieder der Bürgerinitiative und die Mitgestalter fühlen sich diskriminiert“, so Hartmut Enge. Und: „Wir suchen Kompromisse mit der Bürgermeisterin, bekommen aber immer nur Knüppel zwischen die Beine“, ist Enge verärgert.
Lehmrades Bürgermeisterin Cornelia Wagnitz ist ebenfalls nicht glücklich mit der Situation. Der Kontakt zu Holger Fröhlich sei eher zufällig entstanden, da man sich durch eine Ausschuss-Arbeit innerhalb des Amtes Breitenfelde kannte. „Einen professionellen Mediator zu verpflichten, würde für die Gemeinde richtig teuer“, sagte Wagnitz gegenüber Herzogtum direkt. Und: „Herr Fröhlich sollte seinen eigenen Weg ausprobieren“. Hinzu kam, dass sich in Lehmrade das Gerücht hielt, Architekt Holger Fröhlich hätte vor wenigen Wochen bereits eine Mediation in Mustin durchgeführt. Dort handelte es sich aber lediglich um seine Entwürfe und Kostenschätzungen zum Neubau oder alternativ der Sanierung des Feuerwehrgerätehauses im Rahmen einer einmaligen Einwohnerversammlung.
Der erste Workshop mit Anwohnenden der Herrenstraße hat mittlerweile stattgefunden; die Zahl der Teilnehmenden wird mit sechs, von der anderen Seiten mit sieben angegeben. „Wie es weitergeht, weiß ich derzeit auch noch nicht, aber die Bürger sollen sich natürlich am Planungsprozess beteiligen; wir wollen doch Frieden“, sagt Cornelia Wagnitz.
Frieden möchten auch Sabrina Wehking und Lebenspartner Jan Scherp. Aber beide möchten auch im neuen Planungsgebiet den Traum vom Eigenheim verwirklichen. „Fast meine ganze Familie lebt hier im Dorf und wir suchen seit vier Jahren ein Grundstück, um hier ein Haus bauen zu können“, sagt die junge Frau. Ein Angebot an Bestandsimmobilien gebe es kaum und die derzeit bewohnte Mietwohnung sei vom Zuschnitt nicht für eine Familie geeignet. Derzeit sind beide berufstätig und trotz der aktuellen konjunkturellen Lage sicher, ein Bauvorhaben realisieren zu können. „Hier in Lehmrade ist mein Herz“, sagt Sabrina Wehking.
Die junge Frau hat es sauer gemacht, was in den letzten Wochen in der Gemeinde passiert ist. „Mit der Unterschriftensammlung wurde richtig Angst verbreitet“, wirft sie Teilen der Bürgerinitiative vor. So soll gesagt worden sein, dass die Steuerzahler die Bürgersteige für das Neubaugebiet anteilig zahlen müssten. „Auch bei den Campern wurde Stimmung gemacht und es wurden auch Unterschriften von Ortsfremden eingeholt“, so Wehking. Sie könne die direkt anliegenden Eigentümer verstehen, aber „alles verändert sich und der Dorfcharakter würde sich durch das Neubaugebiet nicht verändern“. Die Beiden begrüßen es, dass auf der Fläche auch Mehrfamilienhäuser geplant sind. „Das wäre Wohnraum, der barrierearm geplant ist und so könnten auch ältere Menschen aus Lehmrade passende Wohnungen finden und müssten nicht aus der Gemeinde wegziehen“, sagt Wehking. Zu dem Vorwurf, die Herrenstraße sei zu schmal für den zu erwartenden Mehr-Verkehr, sagt Jan Scherp: „Die Straße Wiesengrund ist auch nicht breiter und viel dichter bebaut, als es für die Herrenstraße geplant ist.“ Hinzu fügt er noch: „Die wenigsten Mitglieder der BI leben länger hier als Sabrina.“
Bei aller Emotionalität versucht das Paar auch, keine Fäden durchzuschneiden. „Lehmrade hat einen guten Ruf, jeder ist hier willkommen. Bei der Sitzung habe ich Menschen gesehen, die zuvor kaum am Dorfleben teilgenommen haben, aber jeder kann hier leben, wie er möchte,“ sagt Sabrina Wehking. Ihr aktueller Vorschlag lautet: „Wir sind jederzeit bereit, uns zusammenzusetzen, erkennen das nur bislang von Seiten der BI nicht. Aber das Angebot steht: ganz locker bei Kaffee und Kuchen und erst einmal ohne Dritte“ (Anm.: ohne Mediator).
Seitens der BI wird derzeit auf ein geplantes Gespräch mit Möllns Bürgermeister Ingo Schäper gesetzt. Das für Lehmrade zuständige Amt Breitenfelde bildet mit der Stadt Mölln eine Verwaltungsgemeinschaft. „Da wir vom Amt bislang keine Antworten erhalten, wollen wir mit dem Verwaltungschef sprechen“, sagte Hartmut Enge gegenüber Herzogtum direkt.
Wir bleiben am Thema.