Ratzeburg (tbi). Allgemeinbildende Schulen müssen Kinder bis 16 Jahren aus der Ukraine aufnehmen und beschulen. Die größte Herausforderung ist erwartungsgemäß die Sprachbarriere. Die Lauenburgische Gelehrtenschule (LG) hat schnell mit kreativen Entscheidungen – und etwas Glück – bislang einen gangbaren Weg gefunden. Jetzt steigt der Zustrom von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine aber wieder an.
Anfang März standen die ersten Kinder aus der Ukraine vor der Lauenburgischen Gelehrtenschule an der Ratzeburger Bahnhofsallee. So wie die Schule selbst waren auch Schulamt und Ministerium nicht darauf vorbereitet. „Wir nehmen die Kinder erstmal auf, aber da ihnen unsere Sprache und die ganze Umgebung fremd sind, können wir sie nicht einfach in irgendwelchen Klassen unterbringen; das kann nicht unser Anspruch von Betreuung sein“, erinnert sich LG-Schulleiter Thomas Engelbrecht. Zufällig bekam Engelbrecht mit, dass die Begleitung einer ukrainischen Mutter, die ihr Kind zur LG brachte, neben der ukrainischen auch die deutsche Sprache beherrschte. Engelbrecht handelte schnell und sorgte dafür, dass die Ukrainerin Olga Dorosh, die seit mehreren Jahren in Deutschland lebt, einen befristeten Vertrag als Unterstützungslehrkraft an der LG erhalten konnte. Derzeit sind 18 Kinder verschiedener Jahrgänge in der Klasse von Olga Dorosh, deren Hauptaufgabe es jetzt ist, die deutsche Sprache zu vermitteln. Schülerinnen und Schüler der LG haben „Patenschaften“ übernommen und die Kinder aus der Ukraine nehmen in anderen Klassenverbänden am Englischunterricht, an Kunst- und Sportstunden teil, da hier das Deutsch nicht im Vordergrund steht. Auch Online-Unterricht zur ukrainischen Geschichte ist möglich.
Noch vor den Ferien im April hatte die LG eine zentrale Info-Veranstaltung für alle Schülerinnen und Schüler durchgeführt. „Die Kinder und Jugendlichen sollten nicht nur die Fernsehbilder aus der Ukraine vor Augen haben, sondern sich damit auseinandersetzen, dass Kinder aus dem Krieg zu uns kommen“, sagt Thomas Engelbrecht. Daraus entstanden viele Initiativen aus der Schülerschaft, wie man unterstützen könne. Kuchenverkäufe, Versteigerungen und letztlich auch der diesjährige Sponsorenlauf gehörten zu den Ideen.
„Ich bin elf Jahre alt“, sagt Diana aus der Ukraine etwas schüchtern, aber in sehr gut verständlichem Deutsch. Diana ist die jüngste Schülerin in der von Olga Dorosh betreuten Klasse. Mit Hilfe von I-Pad und Beamer werden hier gerade deutsche Begriffe erlernt. Die Stimmung in der Klasse ist fröhlich und aufmerksam. Auf die Frage, was Diana hier an der Schule gefällt, fallen ihr als erstes die Pausen ein, die länger sind, als in ukrainischen Schulen. Die schöne Sporthalle und das große Sportangebot gefallen ihr, insbesondere Rudern und Schwimmen werden genannt.
Weitere Schüler freuen sich, dass „die Schule mitten im Wald“ sei und es in Ratzeburg überhaupt so viel Natur gebe. Die Schule sei „gut organisiert“ und verfüge über moderne Räume und Ausstattungen. Die Mensa wird gelobt und die 13-jährige Sofia betont, dass die Mitschüler sehr nett seien. Als etwas ganz Besonderes nennen die Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine, dass in der Stadt Enten frei umherlaufen.
„Es liegt am Krieg, ob es hier weitergeht“, sagt Lehrerin Olga Dorosh. Viele Kinder kämen aus ukrainischen Städten, die vollständig zerstört wurden. Dorosh hofft, dass einige Kinder im nächsten Schuljahr in Regelklassen weiter an der LG beschult werden können; „sie bemühen sich sehr“, sagt sie.
„Niemand weiß, wie lange die Situation anhält“, sagt Schulleiter Engelbrecht. Er betrachtet die Situation als Provisorium. „Wir sind in einer Auffangsituation, jede Schule macht es nach ihren Möglichkeiten anders, aber so ist es kein systematisches Bildungsangebot“, sagt er. Engelbrecht wünscht sich weniger Eigenverantwortung für die Schulen und ein Erstangebot für die Kinder zum Erlernen der deutschen Sprache: „Wir brauchen eine zentrale Verwaltung von Unterrichtsmöglichkeiten für deutsche Sprache und die Möglichkeit, nach Alter zu differenzieren.“ Ein weiterer Zulauf von Kindern aus der Ukraine würde die Progression in der bestehenden Klasse hindern. Möglichkeiten hätte Thomas Engelbrecht: Eine weitere Unterstützungslehrkraft hat er bereits gefunden. Um sie einstellen zu können, müssten allerdings noch deutlich mehr Kinder aus der Ukraine an die LG kommen. Idealerweise mit ersten Deutschkenntnissen.