Ratzeburg (tbi). Kein Maßband, an dem die Tage heruntergezählt werden, keine persönlichen Bilder oder Gegenstände, nur eine Unterschriftenmappe und ein, zwei Akten: Das Chefzimmer im Ratzeburger Rathaus wirkt so, als könne hier jederzeit der neu gewählte Bürgermeister Eckhard Graf einziehen und die Amtsgeschäfte übernehmen. Als Erster Stadtrat hat Martin Bruns pflichtgemäß seit Einleitung des Abwahlverfahrens gegen Gunnar Koech hier im Rathaus als „amtierender Bürgermeister“ die Verwaltung durch schwierige Zeiten führen müssen. Und dieses fast ein ganzes Jahr lang. Herzogtum direkt hat mit dem ehrenamtlichen Stadtvertreter und hauptberuflichem Pferdezüchter über diese Zeit gesprochen.
Herzogtum direkt: Abwahlverfahren, eine Verwaltung, die durch die Geschehnisse um den ehemaligen Bürgermeister Gunnar Koech in Teilen verunsichert war, Corona-Wellen und jetzt Krieg in Europa mit Flüchtlingsströmen, die auch Ratzeburg längst erreicht haben. Wie hat Martin Bruns diese Zeit erlebt?
Richtigstellung von Herzogtum direkt: In dem Interview hatte der amtierende Bürgermeister Martin Bruns auf diese Frage von Herzogtum direkt geantwortet, dass Gunnar Koech Verwaltungsgerichtsprozesse im Eilverfahren gegen Martin Bruns angeschoben habe. Tatsächlich hat Herr Koech am 13. Juli 2021 einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen die Stadt Ratzeburg vor dem Verwaltungsgericht gestellt. Es handelte sich also nur um einen Antrag und dieser wurde von Gunnar Koech gegen nicht Martin Bruns persönlich, sondern gegen die Stadt gestellt. Dies stellen wir hiermit richtig. Die Redaktion.
Herzogtum direkt: Gab es die Überlegung, selbst für das Amt des Bürgermeisters zu kandidieren?
Bruns: Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich nicht kandidiere. Vor wenigen Wochen habe ich noch gedacht, ich könne so langsam auf „Abschiedstour“ gehen, aber durch den Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine geschieht das natürlich nicht. Als Amtsinhaber wüsste ich, wie man so eine Wahl gewinnen könnte. Ich bin jeden zweiten Tag in der Presse und hätte das ja auch noch mehr bespielen können, aber ich hatte das gleich gesagt und schwanke nicht in meinen Positionen. Mit der jetzt getroffenen Wahl (Anmerkung der Redaktion: Eckhard Graf) bin ich absolut einverstanden. Die Stadt ist gut aufgestellt und ich bin mehrfach auf eine Kandidatur angesprochen worden, aber ich habe nie bereut, nicht anzutreten.
Herzogtum direkt: Wie ist die Situation in der Stadt aktuell?
Bruns: Es mussten Entscheidungen getroffen werden und ich bin entscheidungsfreudig geblieben. Wir haben die Riemannhalle für Flüchtende zur Verfügung gestellt, wir haben Personal bereitgestellt und dabei immer darauf geachtet, dass bei aller Personalknappheit die Pflichtaufgaben, also die Auftragsverwaltung, Wohngeld, Sozialleistungen am Laufen gehalten werden kann. Seit Jahresbeginn bieten wir sogar sonnabends Bürgerdienste an, damit sich Menschen keinen Urlaub nehmen müssen. Ich selbst habe auch mal dort unten gesessen.
Mit der Situation der Menschen aus der Ukraine haben wir Rufbereitschaften eingeführt, wenn jemand aus dem Haus wegen Quarantäne nicht hier sein kann, haben wir Regelungen getroffen, dass fast jeder Arbeitsaufgaben von anderen übernehmen kann. Da ist ein hohes Maß an Flexibilität gewachsen. Daher ist es auch nicht so, dass ich jetzt froh bin, wenn ich hier gehe. Aber als Stadtvertreter, der ich ja weiterhin bin, beobachte ich das natürlich weiter.
Herzogtum direkt: Bei allem, was es in diesem Jahr des Amtierens an Ereignissen gab, war etwas dabei, was gern in der Erinnerung bleibt?
Bruns: Das tollste Erlebnis ist tatsächlich, wenn man merkt, dass es funktioniert und man auch intern respektiert wird. Es ist sehr zeitintensiv, aber grundsätzlich macht es mir ja Spaß, sonst wäre ich ja nicht ehrenamtlich in der Politik aktiv. Als Bürger dieser Stadt hört für mich die Arbeit als amtierender Bürgermeister ja am Wochenende nicht auf. Die Last dieser Zeit ist ja eher die Sorge, dass man gegenüber seinen Ansprüchen an sich selbst versagt, zumal ich ja selbstständig auch einen Betrieb führe. Aber jetzt wird mir gerade klar, dass ich seit Mai 2021 weder einen Tag krank war, noch einen Urlaubstag hatte.
Herzogtum direkt: Wenn zum Mai die Amtsübergabe an Eckhard Graf erfolgt, was werden die ersten drei Dinge sein, die Martin Bruns vorhat?
Bruns: Das werde ich häufig gefragt, aber ich habe mir tatsächlich noch keine Gedanken gemacht. Ich habe meinen Betrieb, da wartet genug Arbeit auf mich. Ich bin weiterhin Kreistagsabgeordneter, ich bin weiterhin in der Stadtpolitik, das ist zeitaufwändig. Vielleicht sollte ich doch mal darüber nachdenken und warten, ob mir eine Idee kommt.
Herzogtum direkt: Im nächsten Frühling stehen Kommunalwahlen an. Kreistag und die Ratzeburger Stadtvertretung müssen sich neu zusammensetzen. Hat Martin Bruns schon Entscheidungen für mögliche Kandidaturen getroffen?
Bruns: Bislang gibt es da noch keine Entscheidungen. Mit der Fraktion im Kreistag (Anmerkung der Redaktion: CDU) verstehe ich mich gut und das hat mir in diesem Jahr auch geholfen. Norbert Brackmann als Fraktionschef kann sehr gut erklären, das schätze ich und konnte ihn auch jederzeit anrufen und Fragen stellen. Geholfen hat mir aber auch der enge Kontakt hier zur Kommunalaufsicht in der Kreisverwaltung, da müsste man eigentlich einen Trampelpfad sehen können. Auch in der CDU in Ratzeburg herrscht eine gute Stimmung. Unser Fraktionsvorsitzender Professor Dr. Ralf Röger ist als Jurist Wissenschaftler und das Schöne ist, wenn man sich dann Auskünfte holen kann: es kostet nichts!
Herzogtum direkt: Wenn Martin Bruns in einigen Wochen mit etwas Abstand auf dieses Jahr „amtierender Bürgermeister Ratzeburgs“ blickt, wie lautet die Bilanz?
Bruns: Über die ganzen Geschichten, die man in nur einem Jahr als Bürgermeister hier erlebt hat, könnte man ein Buch schreiben. Vieles habe ich hautnah erlebt und kann bei Gesprächen im Freundeskreis immer etwas beisteuern. Und ich bin auch dankbar, dass sich mir vieles aufgeklärt hat. Vor einem Jahr hatte ich noch wenig Vorstellung davon, was zum Beispiel unser Pressesprecher Mark Sauer alles macht. Heute weiß auch ich, dass Mark Sauer nicht viel herumredet, sondern seine Arbeit macht. Er hat seine Netzwerke und ist im Rathaus ein nicht wegzudenkender Mitarbeiter. Ob es ein gutes Jahr war? – Alles, was man hinter sich lässt, ist immer gut. Wenn ich die Geschichte dieses Jahres mal in zehn Jahren erzähle, ist sie immer noch spannend.
Herzogtum direkt: Vielen Dank, Martin Bruns.