Ratzeburg/Heimersheim (pm). „Das sind unsere Landsleute, denen geholfen werden muss!“ – mit diesem Gedanken engagieren sich Bürger sowie Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Ratzeburg und machten sich auf, um Spenden für die vom Hochwasser betroffene Region zu sammeln.
Nicole Erbert entschied sich, als erste zu helfen: Als gebürtige Rheinland-Pfälzerin stellte sie einen Kontakt ins Ahrtal her und rief über die sozialen Medien zu einer Spendenaktion auf. Gebraucht wurde alles: Von Lebensmitteln, Kleidung, Kinderwagen, etc. Diesem Aufruf folgten viele Menschen, so dass am Ende ein weiteres Kfz geordert werden musste, um diese Dinge zu transportieren. So hatte Feuerwehrmann Thorsten Hagemann eine seiner zahlreichen Kontakte genutzt und einen großen Posten an haltbaren Lebensmitteln organisiert.
Überwältigt vom Ansturm an Sach- und Geldspenden machten sich Nicole Erbert sowie Birgit Lehmann, Simon Seifert und Julian Erbert von der Freiwilligen Feuerwehr Ratzeburg eine Woche nach der Katastrophe auf den Weg in das Ahrtal.
Erster Anlaufpunkt war Verena Eich, eine Grundschullehrerin aus Bad Bodendorf, wo die Spenden zunächst zwischengelagert und anschließend direkt an Betroffene verteilt wurden. Über Frau Eich erfolgte dann die gezielte Weitergabe von Geldspenden an Familien, die alles verloren hatten. Diese von starken Emotionen geprägte Übergabe fand in provisorischen Zeltunterkünften statt, in denen diese Familien vorübergehend untergebracht waren. War man, laut der Kommentare der Bürger aus dem Ahrtal, zu Beginn sprachlos vor Entsetzen angesichts der Katastrophe und ihrer Folgen, ist man nun sprachlos, hinsichtlich der selbstlosen Hilfe, die hier geleistet wird.
Mit der Spendenübergabe war für die vier Helfer aus Ratzeburg vor Ort aber noch lange nicht Schluss. Es war selbstverständlich, dass noch selbst Hand angelegt und aktiv bei Aufräumarbeiten geholfen wurde. Die Spendenüberbringer fuhren zusammen mit Verena Eich nach Ahrweiler, wo ein großer Teil ihrer Familie lebt. Auch ihre Angehörigen waren vom Hochwasser betroffen. Hier wurde den Ratzeburgern das gesamte Ausmaß der Katastrophe bewusst: Die Flutwelle riss nicht nur Menschen in den Tod, sondern hinterließ eine Schneise an Verwüstung und Zerstörung durch das Ahrtal. Bilder, die man davor im Fernsehen gesehen hatte, gaben nicht einen Bruchteil von dem wieder, was hier wirklich passiert war.
Die mitgebrachten Besen, Schaufeln und Schubkarren wurden verteilt und die Helfer machten sich an die mühsame Arbeit. Beim Schaufeln des Schlamms aus Keller und Haus wurde den vier Ratzeburger sehr schnell klar: Wir müssen weiterhelfen!
Das Erlebte und Gesehene hat bei allen Helfern tiefe seelische Eindrücke hinterlassen. Zurück in Ratzeburg überlegte man, wie man weiterhelfen könne. Hierdurch entstand die Gruppe „Der Norden hilft 2.0“, zu der noch Jana Renken, Thorsten Hagemann, Jörg Lehmann und Thomas Erbert hinzukamen. Um den Kindern der betroffenen Familien ein Stück Normalität zurückzugeben, entschloss sich die Gruppe bei der Hilfe für die Grundschule anzusetzen. So entstand die Idee in Zusammenarbeit mit der Grundschullehrerin vor Ort für Kinder aus den Klassen 1- 4 Materialien für den Schulanfang zu beschaffen.
Jeder, der einmal Kinder für den Start in die Schule ausgerüstet hat, weiß um die damit verbundenen Kosten: Vom Füller über den Tuschkasten, bis hin zu Schulheften und Zirkel, dies alles sollen die Kinder zum Schulstart mitbringen. Gerade in dieser Situation der betroffenen Familien ist dies eine zusätzliche Belastung. So war es für die engagierten Helfer naheliegend, sich an den in Ratzeburg ansässigen Buchhandel Weber zu wenden und dort die Idee zu unterbreiten, Schulmaterial im Rahmen einer Spendenaktion zu sammeln. Hier stießen die Helfer auf offene Ohren. Familie Weber war sofort begeistert und unterstützte die Aktion großzügig.
Stefanie Döring, Mitarbeiterin der Buchhandlung, übernahm die Organisation dort und opferte auch viele Stunden ihrer Freizeit für das Zusammenstellen der Bestelllisten und die Sortierung der Schulsachen. Weitere Unterstützung erhielt das Projekt vom evangelischen Kindergarten aus Mustin, in dem Jana Renken arbeitet. Sie hatte die Idee, die Materialien schön zu verpacken, und so gestaltete sie mit ihren Kindergartenkindern liebevoll Stoffbeutel zum Befüllen unter dem Motto „Kinder helfen Kindern“.
Pünktlich zum Schulstart in Rheinland-Pfalz war es geschafft, Beutel für 68 Kinder mit Schulsachen zu füllen, um sie an die Kinder in der Grundschule Heimersheim übergeben zu können. Nachdem alle Sachen im Feuerwehr-Kleinbus verstaut waren, machten sich die Feuerwehrleute Birgit und Jörg Lehmann, Jana Renken und Jasper Huschenbett Freitagnacht auf den Weg, um die Schulsachen zu überbringen.
Im Gepäck waren nicht nur die Materialientüten für die Kinder, es kamen zudem ein Schwung von gespendeten Schulranzen hinzu sowie eine großzügige Sachspende des Antik & Trödel Handel Lars Thies aus Lübeck. Diverse Werkezuge wie Bohrmaschinen, Sägen, Malermaterial, Elektrogeräte und Dinge des alltäglichen Lebens, zum Teil noch original verpackt waren, wurden ebenfalls direkt an der Grundschule verteilt und dankbar angenommen.
Bei der Verteilung an der Schule kam es zu vielen Gesprächen mit Betroffenen, unter anderem mit einer jungen Frau von drei Kindern, die durch die Flut ihr ganzen Hab und Gut verloren hatte. Unter Tränen suchte sie Dinge aus, um wieder einen Anfang für einen neuen Haushalt zu haben. Die nicht verteilten Gegenstände wurden im Anschluss zu einem selbst organisierten Logistikzelt nach Walporzheim gebracht. Auch an diesem Ort zeigte sich immer noch ein Bild der Verwüstung. Viele Einwohner, die versuchten, an ihren zerstörten Häusern zu retten, was noch zu retten war.
Nach Übergabe der Sachspenden hatten die Überbringer noch ein besonderes Mitbringsel für die Kinder in der Grundschule Heimersheim in der Tasche. Kurz vor der Abfahrt in Ratzeburg erfolgte noch einmal ein großer Spendenaufruf mit dem Ziel, für die Kinder das Kopiergeld für das kommende Schuljahr zu sammeln. Geschafft wurde nicht nur das; dank großzügiger Spenden kam so viel Geld zusammen, dass den Kindern einen Ausflug in den Zoo nach Köln ermöglicht werden kann. Die Freude der Kinder hierüber war riesig und noch im September wird das Vorhaben durch die Schule umgesetzt.
Die Ratzeburger Helfer geben sich aber noch nicht zufrieden! Sie rufen dazu auf: „Vergesst die Menschenkinder im Ahrtal nicht – sie brauchen weiterhin unsere Unterstützung.“ Gerade für die betroffenen Kinder benötigt es weitere Hilfen. Daher werden weitere Hilfsprojekte und Aktionen der Gruppe „Der Norden hilft 2.0“ folgen, bei der die Initiatoren weiterhin auf die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger aus Ratzeburg und Umgebung hoffen. Die ehrenamtlichen Helfer freuen sich über jede Zuwendung.
Kontaktaufnahme gerne über die Email-Adresse der Feuerwehr Ratzeburg: info@ffrz.de. Anfragen werden dann weitergeleitet. Ein großes Dankeschön sagt die Gruppe „Der Norden hilft 2.0“ allen, die mit ihren Spenden dieses Herzensprojekt der Menschlichkeit bisher unterstützt haben und noch unterstützen werden. Gemeinsam haben Helfer und Unterstützer so ein Stück Normalität in das Leben der betroffenen Menschen ins Ahrtal zurückgebracht, ihnen ein wenig Mut für die Zukunft gemacht und so ein Zeichen gesetzt, dass die Menschen im Hochwassergebiet nicht vergessen werden.