Ratzeburg (aa). Es ist Donnerstag (27. Mai 2021), Tag 2 nachdem die Stadtvertretung in einer Sondersitzung die Einleitung zur Abwahl des Bürgermeister sowie dessen sofortige Beurlaubung beschlossen hat. Die Vertreter der Fraktionen in der Stadtvertretung haben zu einem Pressegespräch eingeladen. Sie wollen weiter verdeutlichen, warum sie sich zu dieser drastischen und stadtgeschichtlich einmaligen Maßnahme veranlasst sehen. Sie sprechen dem aktuell gewählten Bürgermeister Gunnar Koech die Eignung ab das Amt auszuführen. Es gehe ihnen nicht um die Person.
„Das Land hat 1995 die Bestimmungen zur Bürgermeisterwahl geändert. Das ist meiner Meinung nach ein Grund für die aktuellen Probleme“, beginnt Stadtpräsident Ottfried Feußner (CDU). Seit dem werde der Bürgermeister der Stadt von den Bürgern direkt gewählt. Grundsätzlich könne jeder kandidieren. Was einerseits sehr demokratisch ist, könne aber auch dazu führen, dass nicht der für das Amt geeignetste, sondern der Kandidat mit den höchsten Sympathiewerten zum Bürgermeister gewählt werde.
So beklagt der Stadtpräsident das Kommunikationsverhalten von Bürgermeister Gunnar Koech ihm gegenüber. Laut Feußner habe er versäumt zu einem Gespräch mit den Fraktionsvorsitzenden nicht nur diese, sondern auch den Stadtpräsidenten (ehemals Bürgervorsteher) einzuladen. „Ich habe dieses Jahr bislang nur dreimal mit ihm telefoniert, es ging nie um Probleme mit der Politik“, so Feußner. Auch über öffentliche Auftritte wie bei der Fertigstellung der Sportplatzanlage oder zur anstehenden Modernisierung der Ruderakademie habe Feußner erst aus der Presse erfahren. Feußner: „Ich wurde nie eingeladen.“ Er sei nicht „kamerageil“, aber dass er als oberster Repräsentant nicht eingeladen werde, sei unter Koechs Vorgängern nicht passiert.
„Ich habe mich immer für Menschen mit Behinderung eingesetzt“, fährt Feußner fort. Nicht lange nach Amtsantritt Koechs habe er diesem die Info gegeben, dass es aktuell ein Förderprogramm gebe, um eine Einstiegshilfe für Rollstuhlfahrer an der Badestelle zu realisieren. Zudem hätte er ihm eine entsprechende Kontaktperson in Kiel genannt. „Bis heute hat da kein Gespräch stattgefunden“, stellt Feußner fest.
Direkt nach der Wahl habe der Stadtpräsident Koech zudem darum gebeten, auf der Internetseite der Stadt das Grußwort des Bürgermeisters zu ändern. „Auch das ist bis heute nicht geschehen“, so Feußner. Zudem kam zur Jahreswende kein gemeinsames Grußwort zum neuen Jahr zustande.
„Dass es jetzt diese gemeinsame Aktion der Fraktionen gab, ist für unsere politischen Verhältnisse hier in Ratzeburg eher ungewöhnlich“, übernimmt Andreas von Gropper (FRW) das Wort, „Die Politik hat sich aber nicht unter einer Einheitsglocke versammelt, um künftig zusammen zu ‚klüngeln‘. Jede Fraktion wird bis zum Tag der Abwahl ihren Wählern auch ihre jeweilige Sichtweise zu dem Thema nahebringen.“
„Wir sind ein Parlament von 31 Leuten, dass sich nicht mehr anders zu helfen wusste“, macht von Gropper nochmal auf die Besonderheit der Situation aufmerksam. Jede Fraktion habe ihren eigenen Punkt, wo sie am meisten Probleme in der Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister hatte. Diese sollen jetzt dargestellt werden.
„Und wir (die Stadtvertretung) sind nur ein Fünftel des Problems“, fährt Ralf Röger (CDU) fort und verweist auf die bereits am 25. Mai angesprochenen Verwerfungen des Bürgermeisters mit der Freiwilligen Feuerwehr, mit der Schulleitung der Lauenburgischen Gelehrtenschule (LG), mit dem Schulverband und Teilen der Mitarbeiter der Stadtverwaltung. „Wir als Politik wollen uns nicht in den Vordergrund stellen“, so Röger weiter. Vertreter der anderen genannten betroffenen Institutionen seien unabhängig voneinander auf die Vertreter der politischen Fraktionen zugegangen und hätten diese zum Handeln aufgefordert. Dass diese jetzt auch Vortreten und ihre Sicht der Dinge vortragen, werde ein Prozess sein. Röger: „Es kann nicht sein, dass die Politik jetzt einen Negativ-Wahlkampf führt.“ Andere Gruppen müssten seiner Meinung jetzt in den Vordergrund treten.
„Es wird jetzt bezüglich der Abwahl des Bürgermeisters viel von einem Tribunal, einer Vorverurteilung und von Vorwürfen unsererseits gegen den Bürgermeister gesprochen. Dabei geht es nur darum, dass kein Vertrauensverhältnis mehr besteht. Er hat uns in seinen Entscheidungen nicht mitgenommen und er hat uns wichtige Informationen vorenthalten. Wir haben teilweise unnötigerweise aufgrund von Fehlinformationen über Dinge politisch diskutiert, die sich dann ganz anders darstellten“, beschreibt Uwe Martens seine Sicht der Dinge.
„Wir haben es uns natürlich nicht leicht gemacht mit dieser Entscheidung“, versichert Sami El Basiouni (BfR). Auch wenn man sich in der Vergangenheit mit anderen Bürgermeisters bei einzelnen Themen mal gerieben habe, „wir haben vorher nie über die Abwahl eines Bürgermeisters nachgedacht. Wir (Fraktionen) stehen diesesmal zusammen im Sinne des Bürgers. Wir müssen an dieser Stelle unserer Verantwortung als gewählte Vertreter gerecht werden“, so El Basiouni weiter.
Von Gropper ergänzt: „Wir sind aber in der kommunikativen Falle, dass wir es genau anders machen wollen, als es unser gegenüber tut. Und es ist nicht richtig, dass die Politik von Anfang an gegen Bürgermeister Koech war. Dass einzelne Personen nicht begeistert waren, wenn da nun ein ‚Quereinsteiger‘ kommt, liegt in der Natur der Sache.“ Doch inzwischen gehe es um 31 Ehrenamtliche gegenüber einer Person, die sich um einen hochdotierten Job beworben hat. „Wir (die Stadtvertreter) haben Einblick in die Arbeit der Stadtverwaltung, die die Bevölkerung gar nicht haben kann“, wirbt von Gropper um Vertrauen bei den Bürgern, „Wir haben keinen persönlichen Vorteil von der Abwahl des Bürgermeisters. Wir vermeiden die klare Benennung seiner Fehler, um nicht das gleiche zu tun wie er.“
„Für mich bleibt es im Kern dabei, dass es hier nur um die Eignung geht, dieses Amt auszuführen. Der Bürgermeister hat keine geeigneten Konfliktlösungsmöglichkeiten“, sagt Ralf Röger. Martens führt dazu weiter aus: „Er sagt, er habe keine Probleme mit seinen Mitarbeitern und führt dann in einer Sitzung eine Mitarbeiterin öffentlich vor. Eine Verhaltensweise, die ich unmöglich finde. Seine Strategie ist, dass er immer jemanden sucht, dem er die Schuld in die Schuhe schieben kann. Er ist nicht in der Lage seines Amtes gemäß zu handeln. Es geht uns nicht darum eine Person platt zu machen, sondern es geht uns nur um das Amt.“
„Wir hatten die Anschaffung einer mobilen Bühnen aus langen Diskussionen heraus im November 2020 abgelehnt“, ergreift Klaus-Stefan Clasen (Bündnis90/Grüne) das Wort. Danach habe Gunnar Koech, anders als er es darstelle, diese nicht wieder als Vorschlag erneut eingebracht. Clasen: „Im März 2021 stand ein entsprechender Kostenpunkt ganz klein und ohne Erklärung in einer langen Liste von Haushaltsstellen. Ich habe das nur zufällig entdeckt. Der Bürgermeister brachte die mobile Bühne heimlich wieder ein die Sitzung rein. Meiner Meinung nach hat er es uns untergejubelt. Es hat dazu geführt, dass wir jetzt alle Listen bis ins kleinste Detail prüfen müssen. Wir haben dadurch inzwischen ein Arbeitsvolumen in den Ausschüssen, was ehrenamtlich nicht mehr zu leisten ist.“
Ralf Röger verdeutlicht mit einem kurzen Blick in die Vergangenheit die Problematik. Der ehemalige Bürgermeister Rainer Voß habe die Idee gehabt, bezüglich des Umbaus der Ruderakademie den Vertrag des ebenfalls in dem Gebäude ansässigen Seglervereins CVJM auslaufen zu lassen. „Doch die Idee des Bürgermeisters fand keine Mehrheit. Das hat Herr Voß akzeptiert. Wir hatten in dieser Sache danach alle Unterstützung der Verwaltung, die es braucht.“
„Wir haben in Ratzeburg keinen Bürgermeister, wie wir ihn aus den kleineren Umlandgemeinden kennen. Wir haben einen Verwaltungsleiter, einen hochdotierten Beamten. Mit der Entscheidung (zur Abwahl) habe ich lange gehadert, aber irgendwann ist das Faß voll“, bekundet Jürgen Hentschel (FRW). Ein Gespräch zu dem er von Bürgermeister Koech eingeladen war, hätte er schnell wieder verlassen, da er „unter falschen Voraussetzungen“ eingeladen worden wäre. „Es gab da keine Möglichkeit sachlich mit ihm (Gunnar Koech) zu kommunizieren. Zudem werden wir Politiker vom Bürgermeister öffentlich diskreditiert. Er ist ein hauptamtlicher Verwaltungsleiter. Politische Entscheidungen, die wir hart errungen haben, hat er umzusetzen. Dazu ist er als Verwaltungschef da. Ein Bürgermeister hat nur in einem gewissen begrenzten Rahmen eigene Handlungsfähigkeit“, fügt El Basiouni hinzu.
Uwe Martens: „Wir sind nicht einmal ein Parlament. Wir sind die kommunale Selbstverwaltung. Wir sitzen an einem Tisch. Wir müssen vernünftig miteinander zusammenarbeiten. Das versteht Herr Koech bis heute nicht. Und er hat uns bis heute kein einziges Projekt vorgestellt, dem man hätte zustimmen können. Von den Projektversprechen aus seinem Wahlkampf kam noch gar nichts.“
Sami El Basiouni: „Und nach der Wahl hat er sehr wohl Unterstützung erfahren. Er wurde nicht abgelehnt. Er wurde als Hoffnungsträger gesehen. Meine Erwartung an ihn hat sich leider nicht erfüllt.“
Jürgen Hentschel: „In jeder Sitzung haben wir Themen zu besprechen, die Ratzeburg voranbringen sollen. In jeder Sitzung monierte er, dass wir seine Kompetenz beschneiden würden. Das hat sich so gesteigert, dass ein Gespräch irgendwann nicht mehr möglich war.“ Ralf Röger: „Es gab ein Gespräch, wo er einen Mediator vorschlug. Er sollte uns erklären, was seine (Koechs) Kompetenzen sind.“
Uwe Martens: „Wir hatten unsererseits noch um ein Mediationsgespräch zwischen ihm (Koech) und der LG gebeten, was er abgelehnt hat.“
Andreas von Gropper: „Wir sind die demokratische plurale Vertretung der Bevölkerung. Wir repräsentieren die Bürger und haben mit der Einleitung zur Abwahl die Verantwortung übernommen. Es gibt nicht die eine Politik, um ihn (Koech) fertig zu machen.“
Hentschel: „Der Beschluss der Stadtvertretung war der Startpunkt. Über der Antrag zur Abwahl musste erst abgestimmt werden. Jetzt geht es erst richtig los den Bürgern zu erklären, worum es geht.“
Von Gropper abschließend: „An dieser Stelle können wir dem Bürger die Verantwortung nicht abnehmen. Glaubt er den 30 gewählten politischen Vertretern oder dem gewählten Bürgermeister?“
Das Datum zur Abwahl steht aktuell noch nicht fest. Laut dem stellvertretenen Bürgermeister Martin Bruns (CDU), der die Amtsgeschäfte im Rathaus erst einmal übernommen hat, wird versucht ein Termin innerhalb der nächsten drei Monate zu finden.