Ratzeburg (aa). Die gestrige Sitzung (10. Mai) des Ratzeburger Hauptausschusses war an Dramatik kaum zu überbieten. Dass es heiß her gehen könnte, schien sich zuvor bereits herumgesprochen zu haben, da die Kapazitäten des Sitzungssaal in der LG Aula corona-konform bis auf den letzten Platz ausgeschöpft waren. Selbst draußen vor den Fenstern wurde die Sitzung stehend verfolgt, eine Sitzung, die in einem Antrag zur Abwahl des Bürgermeisters gipfelte.
Es ist Punkt 18.30 Uhr als der Vorsitzende des Hauptausschusses, Michael Jäger (CDU), die Sitzung eröffnet. Es beginnt zunächst mit normalerweise eher harmlosen Tagesordnungspunkten, wie „Beschluss über Einwendungen zu den Niederschriften“. Doch schon hier knistert es zwischen den politischen Mitgliedern des Ausschusses und Bürgermeister Gunnar Koech. Wer in letzter Zeit Sitzungen der politischen Gremien der Stadt Ratzeburg verfolgt hat, weiß, dass das aktuell nichts ungewöhnliches ist. Politik und Bürgermeister scheinen keine Gelegenheit auszulassen, sich gegenseitig auf vermeintliche Fehler hinzuweisen. An diesem Abend ist die gegenseitige Ablehnung aber greifbar wie nie zuvor. Nach dem Schlagabtausch zu den Niederschriften, die Beschlussfassung geht mit zehn Ja-Stimmen und einer Enthaltung gegen Koech aus, folgt einige Tagesordnungspunkte später das Thema ‚Ausführungen des Bürgermeisters zu seiner Aufgabenwahrnehmung und einer vertrauensvollen Zusammenarbeit‘.
„Dazu kann ich nichts sagen, das haben Sie sich ausgedacht“, gibt Gunnar Koech an Michael Jäger zurück, als dieser ihm das Wort erteilt. Der Ausschussvorsitzende entgegnet: „Ich habe diesen Tagesordnungspunkt extra für Sie auf die Liste genommen.“ Darauf Koech: „Es ist umgekehrt, ich wollte etwas zu Ihrem Verhalten erfahren.“ In diesem zweitem Akt des Gefechts erfahren die Zuschauer von einer Sondersitzung des Hauptausschusses. Der Bürgermeister meint dazu, er sei nicht eingeladen gewesen, man habe ihn vorab zu Unrecht als befangen erklärt. Koech: „Sie haben einen Fehler gemacht. Als Bürgermeister bin ich Mitglied des Aussschusses.“ Jäger beteuert, Koech sei einladen gewesen. Er hätte am öffentlichen Teil der Sitzung teilnehmen können. „Es ging nur um den nichtöffentlichen Teil“, beteuert Jäger. Hier habe er den Bürgermeister nur vorwarnen wollen, dass dieser damit zurechnen habe, dass er an dieser Stelle für befangen erklärt würde. Die Befangenheit wird damit erklärt, dass es in diesem Tagesordnungspunkt um den Bürgermeister selbst ging, um eine Angelegenheit, die die Mitglieder des Hauptausschusses als Dienstvorgesetzter des Bürgermeister zu klären hatten. Koech protestiert, der Hauptausschuss sei nur Dienstvorgesetzter des Bürgermeisters in seiner Funktion als Beamter, wenn es beispielsweise um Entscheidungen zu seiner Nebentätigkeit ginge. „Da haben Sie ein bißchen etwas durcheinander gebracht Herr Koech. Lesen Sie das besser noch mal nach“, gibt Michael Jäger kühl zurück.
Eine Ahnung, um welches Thema es in diesem nichtöffentlichen Teil der Sondersitzung ging, erhält man gestern schließlich bei Tagesordnungspunkt 9, ‚Abschluss der Beratung des Hauptausschusses zum Verhalten und der Aufgabenwahrnehmung des Bürgermeisters‘. Der Ausschussvorsitzende Michael Jäger holt noch einmal groß aus und erklärt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Bürgermeister und Politik, zur Wehrführung, zum Schulverband, als auch zur Schulleitung der Lauenburgischen Gelehrtenschule zerrüttet sei. Zudem würde Koech eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung mobben. Jäger: „Es ist menschlich zutiefst verwerflich, was da passiert.“ Zudem liege ihm ein gemeinsames Schreiben der Gleichstellungsbeauftragten der Stadtverwaltung und des Kreises vor, die eine Umfrage unter der Mitarbeitern der Ratzeburger Stadtverwaltung gemacht hätten. Dazu Jäger: „Es wurde umfassend über massive Probleme berichtet, die Mitarbeiter der Verwaltung mit dem Bürgermeister haben. Es besteht massiver Handlungsbedarf.“
„Ich habe Probleme den Ausschuss jetzt überhaupt noch anzusprechen. Dieses Verhalten ist niederträchtig“, giftet Koech zurück und kritisiert die Worte Jägers als vorgezogenen Richterspruch, und eine Vorverurteilung nur aufgrund von Mutmaßungen. Ihm werde gar nicht die Gelegenheit gegeben, sich zu rechtfertigen. „Es geht nur darum, den Bürgermeister vorzuführen. Es ist nichts inhaltlich belegt. […] Dieses Vorgehen ist unter der Würde dieses Ausschusses.“ Jäger entgegnet: „Das weise ich zurück. Sie haben eine falsche Selbstwahrnehmung.“
In der Tat gehen die Vorwürfe der politischen Vertreter an diesem Abend nicht ins Detail. Der folgende gemeinsame Antrag der Fraktionen CDU, FRW, SPD, Bündnis90/Die Grünen und BfR empfiehlt der Stadtvertretung ein Abwahlverfahren gegen Bürgermeister Gunnar Koech einzuleiten und ihm nach Einleitung dieses Verfahrens bis zur Veröffentlichung des Abstimmungsergebnisses den Aufenthalt in seinen Diensträumen zu untersagen. In der Antragsbegründung heißt es: „Dieses Vertrauensverhältnis ist nach Ansicht der Antragssteller nachhaltig zerrüttet. Das Verhalten des Bürgermeisters ist seit seinem Amtsantritt zunehmend dadurch geprägt, dass er bei unterschiedlichen Auffassungen in Angelegenheiten der kommunalen Selbstverwaltung nicht versucht, die politischen Gremien dabei zu unterstützen, ihre klar definierten grundsätzlichen Ziele umzusetzen; vielmehr versucht er mehr und mehr zum Teil unter Missachtung politischer Entscheidungen seine individuellen Ansichten um- und durchzusetzen.
Die Antragsteller sehen sich in immer stärker werdendem Maße damit konfrontiert, zum Beispiel Verwaltungsvorlagen akribisch daraufhin untersuchen zu müssen, ob nicht seitens der Verwaltungsleitung ‚durch die Hintertür‘ versucht wird, bereits in den zuständigen Selbstverwaltungsgremien abgelehnte Maßnahmen doch noch umzusetzen, erst aus der Presseberichterstattung zu erfahren, dass der Entscheidungshoheit der Gremien vorbehaltene kostenträchtige und in Zeiten knapper Kassen in der kommunalen Selbstverwaltung zu fällende Entscheidungen im Alleingang vom Bürgermeister umgesetzt werden, ihre klar artikulierten Zielvorgaben immer wieder neu vorgetragen werden müssen, um am Ende festzustellen, dass diese gleichwohl vom Bürgermeister nicht umgesetzt oder zumindest als Richtschnur seiner weiteren Verwaltungsentscheidungen berücksichtigt werden.“
Ausschussmitglied Professor Dr. Ralf Röger (CDU) führt weiter aus: „Wir sind hier nicht in einem Disziplinarverfahren, sondern einem politischen Gremium. Der Bürgermeister hat Ziele umzusetzen und vertrauensvoll zusammenzuarbeiten.“ Es sei eine politische Entscheidung einem Wahlbeamten wie dem Bürgermeister auch wieder abzuwählen. „Wir können heute als Hauptausschuss keine Abwahl vollziehen, sondern diese nur empfehlen“, so Röger weiter. Die Einleitung der Abwahl liegt danach in der Hand der Stadtvertretung, die mit einer Zweidrittelmehrheit dafür stimmen muss. Danach liegt es in der Hand der Ratzeburger Bürger. Die Abwahl bedarf einer Mehrheit der gültigen Stimmen, die mindestens 20 Prozent der Zahl der Wahlberechtigten betragen muss. „Das sind relativ hohe Hürden. Das ist nichts, was man sich leicht macht – wir haben es uns nicht leicht gemacht“, gibt Röger weiter angesichts der seltenen politischen Einigkeit zu bedenken. Man sei sich auch der finanziellen Folgen bewusst. Im Falle der erfolgreichen Abwahl des Bürgermeisters habe dieser Anspruch auf ein Ruhegehalt. Allerdings seien diese finanziellen Folgen in Abwägung zu bringen mit den finanziellen und immateriellen Folgen, die eine weitere vierjährige Amtsausübung Koechs mit sich bringen würde. Bis zur Einleitung der Anwahl wolle man keine weiteren Kommentare zu dem Vorgang abgeben, um „eine Schlammschlacht“ zu meiden.
Die Mitglieder des Hauptausschusses heben schließlich einstimmig die Hand für die Empfehlung zur Einleitung der Abwahl. Sollten die Mitglieder der nächsten Stadtvertretersitzung am 25. Mai 2021 mit einer Zweidrittelmehrheit dieser Empfehlung folgen, müsste Bürgermeister Koech ab dem Folgetag seine Amtsgeschäfte ruhen lassen und die Schlüssel zum Rathaus abgeben. Seine Arbeit wieder aufnehmen kann er nur, wenn die folgende Abwahl durch die Bürger keine Mehrheit erzielt.
Bürgermeister Gunnar Koech erklärt zu den Vorwürfen am heutigen Dienstag gegenüber der Presse schriftlich zum Zerwürfnis mit der Stadtpolitik: „Es gibt offensichtlich eine tiefgreifende Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Bürgermeister und Stadtpolitik, allerdings auch mit Ausnahmen. Der Vorwurf, dass dies ausschließlich in meiner Person und meinem Handeln begründet liegen soll, weise ich klar zurück. Ich muss hingegen feststellen, dass ich seit dem Tage meiner Wahl innerhalb der Stadtpolitik immer wieder auf Ablehnung und fehlende Akzeptanz stoße und mir vermittelt wird, dass ich als Bürgermeister nicht gewollt bin. Eine offene und ehrliche Aussprache, in der Kritik an meiner Person oder meinem Verhalten thematisiert werden könnte, findet auch auf Nachfrage nicht statt.“
Zum Zerwürfnis mit dem Schulverband: „Es gibt aus Sicht des Bürgermeisters der Stadt Ratzeburg kein Zerwürfnis mit dem Schulverband der Stadt Ratzeburg. Es gibt einzelne Konflikte im Rahmen von Zuständigkeiten, die sich darin begründen, dass die Stadt Ratzeburg die Schulverwaltung im Schulverband trägt.“
Zum Zerwürfnis mit der Freiwilligen Feuerwehr Ratzeburg: „Es gibt kein Zerwürfnis zwischen dem Bürgermeister und der Freiwilligen Feuerwehr Ratzeburg und ihrer Wehrführung. Dies wird auch von der Wehrführung so gesehen. Es gibt sehr wohl Dissens in einigen Sachfragen und im Umgang miteinander. Diese sind beidseitig offen angesprochen. Ein möglicher Schaden zu Lasten der Freiwilligen Feuerwehr Ratzeburg wird beidseitig nicht gesehen.“
Zum Zerwürfnis mit der Schulleitung der Lauenburgischen Gelehrtenschule: „Es gibt aus Sicht des Bürgermeisters kein Zerwürfnis mit der Schulleitung der Lauenburgischen Gelehrtenschule. Der Bürgermeister und der zuständige Fachbereich arbeiten beide der Schulleitung im Sinne einer reibungslosen Aufgabenerfüllung des schulischen Betriebes problemlösend zu. Es gibt Konflikte in der Kommunikation zwischen Bürgermeister und Schulleitung und mit Blick auf Fragen des Verwaltungshandels, die in beidseitigem Interesse gelöst werden sollen.“
Vorwürfe in seiner Eigenschaft als Dienstherr: „Mir wird seitens der Stadtpolitik vorgeworfen, mich in meiner Eigenschaft als Dienstherr nicht korrekt gegenüber Mitarbeiter*innen der Kernverwaltung und des Schulverbandes zu verhalten. Diese Vorwürfe werden nicht konkret benannt. Es werden Beschwerden des Personalrates des Schulverbandes angeführt, für dessen Arbeitsfeld ich keine Zuständigkeit habe. Der Personalrat der Kernverwaltung hat hingegen öffentlich ausgesagt, dass ihm keine Beschwerden über meine Person und meinem Verhalten vorliegen. Es werden Vorwürfe der Gleichstellungsbeauftragten der Stadt Ratzeburg und des Kreises Herzogtum Lauenburg benannt. Diese Vorwürfe werden nicht konkretisiert und sind weder mir noch dem Personalrat bislang vorgetragen worden.“ Der letzte Punkt wird zudem vom Personalrat der Stadtverwaltung, Burkhard Gramsch untermauert. Dieser erklärt in einem offenen Brief, dass ihm „keine außergewöhnlichen Problemfälle vorgetragen oder bekannt“ seien.
Ob eine Schlammschlacht tatsächlich ausbleibt, bleibt abzuwarten. Den Ratzeburgern auf jeden Fall stehen politisch gesehen turbolente Wochen bevor.