Immer wieder wird das deutsche Impftempo kritisiert. Dabei genügt ein Blick über unsere Nachbargrenzen, um zu erkennen, dass es sich um eine europa- und weltweite Impfstoffknappheit handelt. In Deutschland wurden bisher 8,1 Millionen Dosen verimpft, in Frankreich 6,2, Italien 6,0, Spanien 5,0, Schweden 1,0, Österreich und der Schweiz je 0,9, Dänemark 0,8 und Norwegen 0,6 Millionen. In der medialen „Impfweltrangliste“ werden Israel, Großbritannien, die USA und Chile besonders lobend erwähnt. ABER: Die USA und Großbritannien nutzen Ausfuhrbeschränkungen, um bevorzugt ihre eigene Bevölkerung zu impfen, dabei die USA ein Kriegswirtschaft-Gesetz aus der Zeit des Korea-Krieges, was dazu führt, dass selbst Kanada keinen Impfstoff aus dem Nachbarland, sondern von der Europäischen Union erhält und bisher nur zwei Millionen Kanadier impfen konnte.
In Europa haben wir uns für ein partnerschaftliches Bestellwesen mit gleichberechtigter Verteilung nach Einwohnerkontingenten entschieden. Israel gibt BionTech als Gegenleistung für die bevorzugte Belieferung die kompletten Impfdaten seiner 9,3 Millionen Einwohner – das wäre in Deutschland schlicht gesetzeswidrig und würde zu einem Aufschrei der Datenschützer führen. In Chile wird ein chinesischer Impfstoff genutzt, der in Europa gar keine Zulassung hat und den hier niemand nehmen würde. Mit den bundesweit etablierten Impfzentren und einem bewährten Hausarztsystem, das es so im Gesundheitswesen anderer Länder gar nicht gibt und auch hierzulande von manchen Politikern zugunsten von polyklinischen Strukturen schon abgeschafft werden sollte, verfügt Deutschland über leistungsstarke und bürgernahe Infrastrukturen, um pro Woche fünf Millionen Menschen impfen zu können. Die Strukturen sind intakt, die Fachkompetenzen vorhanden. Entscheidend ist jetzt die Überwindung der europa- und weltweiten Impfstoffknappheit durch Ausbau der Produktionskapazitäten und weitere Zulassungen durch die EMA. Deutschland ist besser als sein Ruf – und unser Gesundheitswesen weltweit in einer Spitzenposition.
Lothar Obst, Mölln (Landesvorsitzender der Schleswig-Holsteinischen Krankenhausdirektoren 1992 – 2008, Verwaltungsdirektor der Krankenhäuser Mölln und Reinbek 1984 – 2016)