Lübeck (pm). „Drei Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs können wir feststellen, dass die Wiedervereinigung Deutschlands vor allem in unserer Region ein Erfolg gewesen ist. Der 9. November 1989 war daher vor allem auch für unsere Region ein Schicksalstag“, sagte Friederike C. Kühn, Präses der IHK zu Lübeck, in einer gemeinsamen Veranstaltung mit der IHK zu Schwerin. „Heute nennen wir die Region HanseBelt, denn hier sind der Bezirk der IHK zu Lübeck sowie der Landkreis Nordwestmecklenburg mit der Hansestadt Wismar und der Landeshauptstadt Schwerin zu einem großen Wirtschaftsraum verschmolzen“, ergänzte die Präses vor mehr als 100 Vertretern aus Wirtschaft und Politik im Restaurant der Euroimmun AG in Lübeck.
Die IHKs hatten die Zentrale des Labordiagnostikherstellers für die Veranstaltung gewählt, weil sie in unmittelbarer Nähe der ehemaligen innerdeutschen Grenze liegt und Euroimmun schon kurz nach der Wende Standorte in den neuen Bundesländern aufgebaut hatte. „Der Mauerfall war daher für uns ein großes Ereignis. Unsere Mitarbeiter in der Region haben ihre Wurzeln in Lübeck und Nordwestmecklenburg. Sie arbeiten gut zusammen. Das haben wir geschafft“, sagte Euroimmun-Vorstand Dirk Beecker.
Als die innerdeutsche Grenze fiel, sei die Euphorie im Osten groß gewesen, erinnert sich Matthias Belke, Präsident der IHK zu Schwerin. „Gerade für uns junge Menschen standen auf einmal alle Türen offen. Die neu gewonnene Freiheit war für mich vor allem die Möglichkeit, ein eigenes Unternehmen in meiner Heimat zu gründen.“ Nach 30 Jahren stelle die Selbständigkeit eher die Möglichkeit dar, sich beruflich zu verwirklichen als eine Existenzgrundlage zu schaffen. Präsident Belke: „Das ist auch ein Resultat der positiven Entwicklung, die unser gemeinsamer Wirtschaftsraum genommen hat. Die Metropolregion Hamburg, in der Westmecklenburg gut angekommen ist, gibt hier den gemeinsamen Rahmen vor.“
In der ehemaligen DDR habe damals Goldgräberstimmung geherrscht, sagte der NDR-Journalist Christopher Scheffelmeier, der die Veranstaltung moderierte. Ein in den letzten Wochen der DDR gegründetes Unternehmen gehört heute zu den führenden Herstellern von Büromöbeln in Deutschland. Uwe Blaumann, Geschäftsführer der PALMBERG Büroeinrichtungen + Service GmbH in Schönberg, sprach über die bewegende Zeit: „Wir gehörten damals zu einem volkseigenen Kombinat. Um nicht von der Treuhand verwaltet zu werden, haben die Kollegen mich beauftragt, unsere Interessen zu wahren und unseren Betrieb in die Selbstständigkeit zu führen. Wir sind mit 68 Mitarbeitern gestartet, mussten Entwicklung, Vertrieb und Logistik neu aufbauen. Nach schwierigen Phasen zu Beginn der 1990er Jahre erwirtschaftet unser Unternehmen heute mit rund 600 Beschäftigten einen Jahresumsatz von 100 Millionen Euro.“
Mittlerweile sind Blaumanns Tochter Nicole Eggert und Julianne Utz-Preußing, Tochter von Mitgründer Torsten Utz, in die Geschäftsführung eingestiegen. Beide stellten fest, dass Palmberg als ostdeutscher Hersteller längst kein Exot mehr auf dem Büromöbelmarkt ist. Eine Trennung von Ost und West gebe es nicht, die Mitarbeiter arbeiteten eng zusammen. „Die Zweite Generation will die Werte bewahren, die unser Unternehmen ausmachen“, sagte Julianne Utz-Preußing.
Auch bei der STERAC Transport & Logistik GmbH in Braak gibt es keine Trennung von Mitarbeitern aus dem Osten und dem Westen. „Wir sind ein international tätiges Unternehmen“, sagte Geschäftsführerin Nicola Rackebrandt. Ihr Vater Gerald hatte die Öffnung der Märkte im Osten als neues Geschäftsfeld entdeckt, allerdings sei es eine Umstellung gewesen, denn alle Lieferketten waren bis zur Wende nach Westen ausgerichtet. Heute seien die osteuropäischen Länder ein wichtiger Markt für STERAC.
Der sich verstärkende Fachkräftemangel trage ohnehin dazu bei, dass Unterschiede in der örtlichen Herkunft der Mitarbeiter unwichtig werden. Gerald Rackebrandt sieht eine große Herausforderung darin, die Einheit Europas zu bewahren. „Ich bin traurig, dass das Europa, an dem unsere Vorfahren gearbeitet haben, nicht mehr funktioniert. Am Ende können wir uns nicht mehr frei bewegen. Ich habe Angst, dass wir den falschen Weg gehen. Europa ist das Beste, was uns passiert ist“, sagte er und erhielt dafür Applaus. Seine Tochter ergänzte, dass sie eine überzeugte Europäerin sei. Sie rief dazu auf, nicht zu sehr in die Vergangenheit zu schauen, diese aber auch nicht zu vergessen. Wichtig sei es, das, was in den vergangenen 30 Jahren entstanden sei, nicht mit Füßen zu treten.
Ähnlich sieht es Birgit Hesse, Präsidentin des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern. Sie erinnerte daran, dass vor 30 Jahren in der DDR und in anderen Ländern die Menschen aufgestanden waren, um Dinge zu verändern. „Der Fall der Mauer war das schönste Ereignis der deutschen Geschichte“, sagte sie unter Applaus der Zuhörer. „Diesen Geist, der damals geherrscht hat, müssten wir bewahren. Wir müssen aber auch nach vorn sehen. Ost oder West ist heute egal. Ich empfinde mich als Norddeutsche. Es kommt jetzt darauf an, dass wir unsere Stärken im norddeutschen Raum nach vorn stellen.“
Ein wichtiger Zeitzeuge der damaligen Ereignisse ist Björn Engholm. Der Lübecker war 1989 Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein und hat nach dem Fall der Mauer an der Einheit mitgearbeitet. Einen Grund für eine gewisse Unzufriedenheit in den ostdeutschen Bundesländern sieht er durchaus in Fehlern der Vergangenheit. „Die alte Bundesrepublik hat sich die DDR einverleibt, ohne das Land verstanden zu haben. Das haben Menschen entschieden, die nicht wussten, wie die Bürger damals gelebt hatten. Wir haben die persönliche Leistung von Menschen nicht wahrgenommen. Das hat politische Nachwirkungen bis heute, vor allem bei den Älteren“, sagte Engholm und erhielt dafür Applaus. So ein Vorgehen dürfe sich nicht wiederholen.
Die enge Zusammenarbeit zwischen den Ländern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern hatte Engholm damals eingeleitet. Politiker berieten an einem runden Tisch über Kooperationen, auch die IHKs und Handwerkskammern hätten beim Aufbau der Markwirtschaft unterstützt. Ein großer Erfolg ist, dass die einstige Grenze in der länderübergreifenden Zusammenarbeit heute keine Rolle mehr spiele, wie Schleswig-Holsteins Minister für Inneres, ländliche Räume und Integration, Hans-Joachim Grote, betonte. „Wir werden an dieser Grenze unsere Denkprozesse nicht beende und beim Landesentwicklungsplan oder der Gefahrenabwehr kooperieren.“
Er geht davon aus, dass der Norden noch enger zusammenwachsen werde. Dann geht es nicht mehr um Ost oder West. „Dann wird es nicht mehr um Regionen gehen. Schon jetzt erstreckt sich die Metropolregion Hamburg auf vier Bundesländern und reicht tief nach Mecklenburg-Vorpommern. Darauf sollten wir stolz sein.“