Ratzeburg (pm). Noch nie wurde das Werk Ernst Barlachs so lebendig präsentiert: Das Projekt BARLACH 2020—Denkraum multimedial überwindet historische Festschreibungen und entstaubt das Bild des weltberühmten Bildhauers, Zeichners und Dramatikers, indem die großen, bis heute wichtigen Werke von Ernst Barlach mit modernen Medien kombiniert werden. Durch vielschichtige Zusammenhänge politischer, kultureller, werk- und lebensgeschichtlicher Ereignisse entsteht ein virtueller Thementransfer vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Das Museum begreift sich als Labor und will in unterschiedlichsten Kooperationen mit Hochschulen, Kuratoren, Film– und Medienkünstlern, in Jugendprojekten und unter Einbeziehung der Besucher die Ideen Barlachs zu neuem Leben erwecken und die Relevanz seiner Kunst für die heutige Zeit unter Beweis stellen. Die Ausstellung wird bis Ende Oktober 2019 in mehreren Schritten als öffentliche Versuchsanordnung entwickelt, erprobt und ab Frühjahr 2020 zum 150. Geburtsjahr Ernst Barlachs dauerhaft präsentiert.
Dabei entstehen nicht nur neue Erlebnisräume für die Kunst Ernst Barlachs, sondern auch neue Erkenntnisse und Forschungsansätze. Der Fragestellung folgend, welche Bedeutung beispielsweise der Heimatort Ratzeburg für den Künstler hatte, entstand unter Einbeziehung der neu edierten und bisher größtenteils unbekannten Schriften Barlachs (Ernst Barlach Gesellschaft Hamburg) und der Kontext bezogenen Untersuchung seines Frühwerkes eine überraschende Neubewertung. Hat die Kunstgeschichtsschreibung seit 100 Jahren das „Slawische“ im Werk Barlachs auf seine Reise nach Russland 1906 zurückgeführt, so fokussiert das Museumslabor den Bezug zur slawischen Frühkultur in Schleswig-Holstein. Denn hier fand Barlach, vielmehr als in Russland, das Material für seine heidnischen, archaischen Urgestalten, die seine Vorstellungen von einer modernen, einer besseren Welt zum Ausgang des 19. Jahrhunderts prägen sollten. Die damals beginnende archäologische Erforschung der Slawengeschichte, die Erkenntnisse über ihre spirituelle Naturverbundenheit und ihre sozialen Lebensstrukturen, ebenso wie die Abwehr des pietistischen Bürgertums gegen alles Slawische, haben seine Wahrnehmung schon zu Schulzeiten geschärft. Auch dass Barlach von den Nazis später als der Künstler des „slawischen Untermenschentums“ diskreditiert wurde, gewinnt aus dieser Perspektive nochmals eine ganz neue Bedeutung und Aktualität: Hier stellt sich die Frage nach dem Eigenen und dem Fremden in der kulturellen Selbstverständigung.
Wie Ausstellungen in– und außerhalb Europas bis heute zeigen, beeindruckt das Werk Ernst Barlachs nicht nur durch seine brillante ästhetische Formensprache, sondern viel mehr auch durch die Empathie für den Menschen und das sich Verantwortlichfühlen für den Zustand der Welt. Mit Barlach kann der Slogan think global, act local auch umgekehrt gelesen werden: think local, act global. So forscht das Museumslabor ausgehend von Ernst Barlach an weltweit bedeutenden und aktuellen Fragestellungen wie:
Mensch und Natur – Die ökologische Perspektive
Mensch und Welt – Soziale Gerechtigkeit und Friedensperspektive
Denn durchaus haben Ernst Barlachs Wanderer und Träumende etwas mit drängenden Umweltproblemen von heute und der Suche nach Lösungen zu tun. Seine Zweifler, Bettler und Flüchtlinge lassen sich nicht nur im Kontext des Ersten Weltkrieges verstehen, sondern artikulieren auch unsere Ängste, Sorgen und Zukunftsfragen.
Was der einzelne Mensch zu einer besseren Welt beitragen kann, hat Barlach insbesondere in seinen Dramen verhandelt, womit sich das Museumslabor in einer eigenen Abteilung Barlach auf der Bühne beschäftigt. Die Dramen Ernst Barlachs wurden an den größten Theatern in Berlin, Königsberg, Hamburg, Düsseldorf, Stuttgart, München etc. aufgeführt. Ihnen gemeinsam ist die Empörung über die Gier, die Egozentrik und mangelnde Solidarität des Menschen in der modernen Gesellschaft. Beispielhaft werden die Inszenierungen der Dramen Ernst Barlachs nun im Museum präsentiert. Zusammen mit dem bildnerischen Werk entsteht ein Denkraum zu Fragen der Gegenwart und Zukunft.
Auch wer sich sicher ist, Ernst Barlach zur Genüge zu kennen, sollte sich überraschen lassen von der neuen, lebendigen Museumspräsentation in Ratzeburg! Was ist heute wichtig an Ernst Barlach? Welche Themen verbindet man heute mit dem Künstler? Was wird er in Zukunft bedeuten?
Die Museumsbesucher sind eingeladen, mit ihren Gedanken und Ideen an der Entstehung der Jubiläumsausstellung 2020 mitzuwirken.