Ratzeburg (pm). Eigene Ideen diskutieren. Die Stadt verändern. Und dabei ganz viel über Kommunalpolitik erfahren. Rund 90 Schüler der Gemeinschaftsschule Lauenburgische Seen schlüpften Anfang Juni im Planspiel „Pimp Your Town! Ratzeburg“ für drei Tage in die Rolle von Kommunalpolitikern, das auf Einladung der „Partnerschaft für Demokratie der Stadt Ratzeburg und des Amtes Lauenburgische Seen“ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ in der Ernst-Barlach-Schule vom Verein „Politik zum Anfassen e.V.“ aus Niedersachsen durchgeführt wurde.
Angeleitet durch die durchweg jungen Teamer des Vereins bildeten die Neunt- und Zehntklässler nach einem einführenden Crashkurs zur Kommunalpolitik eigene Fraktionen und sammelten zunächst in einer Traumwolke ganz unstrukturiert ihre Wünsche, Ideen und Vorstellungen für eine aus ihrer Sicht lebenswerten Stadt. Anschließend wurde diese Sammlung in Themenfeldern strukturiert und so ganz analog zur echten Ratsarbeit für eine Beratung in den gebildeten Ausschüssen „Schule, Jugend und Sport“, „Planen, Bau und Umwelt“ sowie „Tourismus und Stadtmarketing“ vorbereitet. Dabei galt es zu lernen, dass nicht alles, was Wünschenswert ist, auch in der Stadt entschieden werden kann. Manchmal müssen andere Ebene darüber entscheiden, manches kann nicht so ohne weiteres finanziert werden.
Ebenso wichtig zu verstehen war, dass man sich auch immer wieder in der eigenen Fraktion überlegen muss, wie man zu Ideen steht, um dann in den Ausschussdiskussionen eine gemeinsame Haltung zu finden. Hierbei unterstützten Kommunalpolitiker*innen aus Ratzeburg und dem Amt Lauenburgische Seen nach Kräften und brachten ihre Erfahrung strukturgebend in die Ausschussarbeit ein. Entsprechend lichtete sich auf diese Weise das Themenfeld für die abschließende Stadtvertretersitzung am dritten Tag des Planspiels. Unter dem Vorsitz des Ersten Stadtrates Martin Bruns wurden in einer über dreistündigen Sitzung 45 Tagesordnungspunkte beraten und einem Beschluss zu geführt.
Dabei zeigte sich, dass die von den Jugendlichen eingebrachten Themen ganz häufig auch in der realen Stadtvertretung zur Diskussion stehen und die Lebenswirklichkeit junger Menschen sich immer auch in der Kommunalpolitik wiederfindet. Beispielsweise wenn es um die Verbesserung des Marktplatzes ging, um bessere Radwege, saubere Toiletten, mehr Kotbeutel für Hunde oder mehr Mülleimer in der Stadt, die Überarbeitung der Buslinien, die Umgestaltung des Schwimmbades „Aqua Siwa“ oder die Investition in Schulen und deren Ausstattung. Aber es wurden auch zu Themen diskutiert, die im Alltag der Jugendlichen besonders bedeutsam sind, wie über freies WLAN an öffentlichen Orten, Klimaanlagen in Schulen, mehr Freizeitangebote und Freizeitflächen für Jugendliche, wie Parkour oder Skatebahn, die Aufstockung der Badeattraktionen oder mehr attraktive Ausbildungsangebote.
Dazu kamen aber auch konkrete Verbesserungsvorschläge für die Stadt, die oftmals sehr durchdacht, zuweilen auch überraschend waren, wie das Aufstellung von Liegen im Kurpark, mehr Solaranlagen in der Stadt, eine Schwimmlernpflicht, Displayspiele an Ampelübergängen, eine Wasserskianlage oder gar der Bau einer städtischen Straßenbahn. Alle Anträge wurden ernsthaft und auf hohem Niveau diskutiert und abgewogen und schließlich gut begründet angenommen oder abgelehnt.
Im Ergebnis aber wurden mit „Pimp Your Town! Ratzeburg“ nicht nur viele Ideen beraten, sondern vor allem eines vermittelt, was gerade im Tagesordnungspunkt „Politische Förderung für Jugendliche“ besonders zum Ausdruck kamen. So führte ein Schüler hierzu aus: „Seit zweieinhalb Tagen weiß ich, was Kommunalpolitik mit meinem Alltag wirklich zu tun hat.“ Einstimmig votierte die jugendliche Stadtvertretung dafür, dass es mehr solcher Begegnungsmöglichkeiten zwischen Schule und Stadtpolitik geben müsste. Überdies zeigte sich auch, dass eine Beschäftigung mit kommunalen Themen unvermittelt zu einem Blick für öffentliche Belange führt. So wies beispielswiese ein Schüler bei der Beratung des Tagesordnungspunktes „Weniger Ampeln und mehr Zebrastreifen“ darauf hin, dass er am Vortage eine gefährliche Situation auf der Bundestraße 208 beobachtet habe, die doch mit einem Zebrastreifen entschärft werden könnte.
Seitens der beteiligten Stadtvertreter*innen und der Gemeinschaftsschule kamen durchweg lobende Worte für den Verlauf des Planspiels, für die gute Organisation des Teams von „Politik zum Anfassen e.V.“ und vor allem für die engagierte Beteiligung der Schüler*innen. „Unsere Aufgabe als Stadtvertreter ist es immer auch, junge Menschen an die die Kommunalpolitik heranzuführen. Dafür war dieses Planspiel bestens geeignet und im Ergebnis sehr erfolgreich“, sagte Bürgervorsteher Ottfried Feußner. Dies bestätigte Heinz Dohrendorf, Amtsvorsteher des Amtes Lauenburgische Seen, der das Planspiel aktiv begleitete: „Ein tolles Projekt mit sehr erfrischender und engagierter Beteiligung aller Teilnehmer/innen, das Mut macht und hoffnungsvoll in die Zukunft schauen lässt“. Stadtvertreter und Erster Stadtrat Martin Bruns sagte: „Die Stadtvertretersitzung des Planspiels zu leiten war sehr beeindruckend. Die Schüler diskutierten alle samt engagiert, äußerst diszipliniert und kamen so zu abgewogenen Entscheidungen.“ Ganz ähnlich fasste Ratzeburgs Stadtvertreter Andreas von Gropper seine Eindrücke zusammen: „Es war erfreulich und für mich überraschend, wie lange die Jugendlichen konzentriert bei der Sache waren. Sowohl die Ausschuss- aber besonders die Stadtvertretersitzung hatten umfangreiche Tagesordnungen, wo wir Erwachsene schon an unsere Aufmerksamkeitsgrenzen kommen. Das lag natürlich auch an den wirklich gut geschulten Trainern des Veranstalters – die ja aber auch noch alle ziemlich jung sind.“
Auch Schulleiter Henning Nitz lobte das Planspiel: „Das Projekt „PIMP YOUR TOWN! Ratzeburg“ stellt ein hervorragendes Mittel dar, Schülerinnen und Schülern die wichtige Demokratiebildung konkret und vor Ort erlebbar zu machen. Die Schülerinnen und Schüler rücken ab von Aufgabenkonstruktionen in Schulbüchern und streben hin zu Einflussmöglichkeiten in die unmittelbare Umgebung ihres täglichen Lebens. Sie erfahren auch, dass hierzu Regeln einzuhalten sind, Mehrheiten gefunden werden müssen, aber auch Kompromissbereitschaft vorhanden sein muss, alles Grundqualifikationen für den Umgang miteinander in unserer Gesellschaft. Durch dieses „Lernen am anderen Ort“ findet der Unterricht in der Schule eine wichtige Ergänzung und macht zusätzlich auch noch Spaß.“ Barbara Stellingwerf, Schulsozialarbeiterin an der Gemeinschaftsschule Lauenburgische Seen, zeigte sich „sehr berührt und beeindruckt, mit welcher hohen Motivation die Schülerinnen und Schüler an den demokratischen Prozessen beteiligt werden wollen“.
Positiv resümierte auch Gesine Biller, Gemeindevertreterin in Mustin und Begleitausschussvorsitzende der „Partnerschaft für Demokratie der Stadt Ratzeburg und des Amtes Lauenburgische Seen“ den Verlauf des Planspiels: „Es wirkt so, als wäre hier ein großes Interesse an kommunaler Politik geweckt. Bei so demokratischen, engagierten und bürgernahen politischen Nachwuchs freue ich mich auf die Zukunft in Ratzeburg und dem Umland.“
Der Ratzeburger Jugendbeirat, der das Planspiel in den Wochen zuvor mit Stadteilbegehungen aus den Jugendzentren heraus vorbereitet hatte, wird sich in den kommenden Wochen eingehend mit den Ideen der Gemeinschaftsschüler auseinandersetzen und entsprechend der protokollierten Beschlusslagen Vorschläge für eine weitere Beratung in den echten kommunalpolitischen Gremien machen. „Die Protokolle der Sitzungen sind für uns eine wahre Ideenfundgrube von jungen Menschen“, sagte Marten Koch, Jugendbeiratsvorsitzender.