Borstorf (aa). Die ‚#meToo‘ Debatte ist seit rund einem Jahr gefühltes Dauerthema in den überregionalen Medien. Das Thema ließ sich schon früh nicht nur auf die Filmbranche Hollywoods reduzieren, in verschiedensten gesellschaftlichen Ebenen müssen die jeweiligen Akteure ihr bisheriges Handeln hinterfragen und gegebenenfalls neu bewerten und ausrichten. Der Mustiner Künstler Thomas Biller hatte sich bei der diesjährigen Auflage von „Dörfer zeigen Kunst“ mit ‚meToo‘ und dem Thema Sexismus künstlerisch auseinandergesetzt. Somit war er der perfekte Gesprächspartner für das jüngste ‚Kunstgespräch‘ in der Werkstatt von Hans und Heidrun Kuretzky in Borstorf.
Regelmäßig lädt das Ehepaar Kuretzky zum Kunstgespräch ein. Dieses Mal sind rund 20 Gäste vor Ort, die in der Werkstatt Platz nehmen. Nach einer kurzen Begrüßung und einleitenden Worten von Hans Kuretzky hat dann auch gleich Thomas Biller das Wort. Die ‚#meToo‘ Debatte habe als Phänomen eine neue Bewusstseinsebene geschaffen, die endlich Schluss mache mit Übergriffigkeiten. „Das ist richtig und finde ich wichtig. Sexuelle Übergriffe sind absolut widerlich und schrecklich“, legt Biller gleich zu Beginn seine Position fest, bevor er zu seiner Ausstellung im Rahmen von „Dörfer zeigen Kunst“ zu sprechen kommt. Während seines Themenfindungsprozesses verfolgte er die Pressemeldungen zu #meToo. Dabei waren auch Berichte über Museen, die als Reaktion auf die Debatte Bilder abhängten, oder ganze Ausstellungen, die abgesagt wurden. Biller: „Zum Beispiel wurden Bilder abgehängt, weil barbusige Nymphen beim Baden zu sehen waren. Da machte es bei mir ‚klick‘ – was passiert da gerade? Das eine sind rechtskräftige Verurteilungen, das andere sind Einschränkungen der Kunst. Das geht so für mich einfach nicht.“ Thomas Billers Reaktion darauf war die Ausstellung „NaPur“ in Utecht, die unter anderem ein stark verfremdetes weibliches Dekolleté zeigte. Doch ein Aufschrei blieb aus. „Es passierte erstaunlich wenig. Die einzige Reaktion war die einer Dame, die fragte: ‚Warum zeigt ihr nicht mal Schwänze?‘“, erinnert sich der Mustiner Künstler. Ob es nun an der Unaufgeregtheit der ländlichen Bevölkerung lag, oder daran, dass die erste Verunsicherung in der Kunstszene bereits wieder verhallt ist, bleibt offen. Denn inzwischen hängen viele Werke in den Museen wieder an ihrem Platz. Es würde aber trotzdem weiterhin in der Kunstszene diskutiert über Zensur und Selbstzensur, künstlerische Freiheit und #meToo‘.
Auch an diesem Abend in Borstorf ist das Publikum motiviert, sich dem Thema zu stellen. „Was durch die ,#meToo‘ Debatte überraschte, war, wie lange es dauerte, bis die Frauen sich trauten, etwas zu tun. Das hat mit Sexualität nichts zu tun, sondern mit Machtstrukturen“, stellt Heidrun Kuretzky fest. „Es geht um Macht, um Missbrauch, aber auch um allgemeine Machtstrukturen“, ergänzt Thomas Biller, der #meToo in diesem Sinne als einen Sammelbegriffe wahrnehme. Missbrauch sei immer da zu finden, „wo Macht im Spiel ist, wo Menschen zu Dingen verführt werden, die sie eigentlich gar nicht wollen“, so Biller weiter, „Bitte alles aufklären! Aber das ist bitte zu trennen vom Einfluss auf die Kunst. Die Kunst ist frei! Sie darf provozieren, sie darf sogar Ekel erregen und Diskussionen anregen. Erotik und Sexualität sind für mich erstmal positiv besetzte Dinge.“ „Die Frage ist immer, wann ist etwas übergriffig oder verletztend“, sieht hier Hans Kuretzky eine Grenze.
War die (vermeintlich) temporäre (Selbst-)Zensur wie in den Museen blinder Aktionismus? Oder gar eine Überforderung der Gesellschaft?, so einige Beiträge der weiteren Diskussionsteilnehmer. Einigkeit herrscht offenbar darüber, dass man froh sei, dass das Thema ‚sexueller Missbrauch‘ endlich offen diskutiert wird. Jeder Einzelne sei auch selbstverantwortlich hinzuschauen, wo Missbrauch stattfindet.